Der Rione Luzzatti, in den 20er bis 60er Jahren erbaut, ist ein an den Hauptbahnhof angrenzender peripherer Stadtteil von Neapel. Er bildet den Schauplatz des vierteiligen Romanzyklus von Elena Ferrante „L’amica geniale“ („Meine geniale Freundin“): der Rione, mit seinem exzessiven Maß an Begierden, an Gewalt und Liebe wird im Werk der Schriftstellerin zum Prüfstand und zum Exempel für die Widersprüchlichkeiten, die die jüngere Geschichte der westlichen Welt durchziehen. Die 2016 entstandene Reportage bezeugt, was heute von den Träumen der Wirtschaftswunderzeit übriggeblieben ist: die bescheidenen Formen der Häuser, sowohl der neuen als auch der älteren, die immer noch staubigen Straßen, das Leben der Einwohner. Dabei ist die napoletanità des Viertels (die gegenüberliegend am Horizont erscheinenden Silhouetten des Vesuvs und der Hochhäuser des Verwaltungszentrums, die im Wind trocknende Wäsche, der Obstverkäufer mit seinem Lieferwagen) ganz reduziert wahrnehmbar: auch in einer so besonderen Stadt wie Neapel treten genau dieselben Beziehungen, dieselben Widersprüche auf wie an den Peripherien von Paris, Berlin oder Detroit.