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Verfolgt bis heute das Zeitgeschehen in Magdeburg: Alt-OB Werner Herzig (95)
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Zum Abschluss wird die Haube wieder auf den Turm über dem Rathaus gesetzt
Als Werner Herzig im Herbst 1965 das Amt des Oberbürgermeisters antrat, konnte man noch vom Hauptbahnhof bis zur Elbe durchschauen. Die ersten Neubauten im Nordabschnitt standen, aber die Spuren des Weltkrieges waren überall gegenwärtig. „Wir haben unsere Mission gesehen, dass Magdeburg wieder eine lebenswerte, ihrer historischen Bedeutung gemäße und international namhafte Stadt wird. Als oberstes Prinzip stand für uns, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in Magdeburg wohlfühlen, dass sie auf ihre Stadt stolz sind, dass sie sich ihr verbunden fühlen.“
Angesichts der schweren Zerstörungen ging es für Herzig darum, neue Identität zu stiften. Für ihn stand die Frage, was bei der Geschichts- betrachtung der Stadt in Erinnerung bleiben sollte. „Aus meiner Sicht spielten die Förderung der Künste dabei eine wichtige Rolle. Wir hatten ein anerkanntes Theaterschaffen mit entsprechendem Opernhaus und Schauspiel sowie eine über die Grenzen der Stadt hinausgehende Telemann-Pflege und unsere städtische Puppenspielbühne erfreute vor allem unsere Kinder. Glasgestalter und Grafiker hinterließen zunehmend ihre Handschrift in der Öffentlichkeit.“
Gut kann sich Herzig noch an seine Reise nach Warnemünde erinnern, und wie er dort den „Teepott“ sah. „Die freitragende Konstruktion von Ulrich Müther hatte einen kühnen Schwung – und sie hat mich sofort begeistert“. Umgehend meldeter er sich beim Rostocker Amtskollegen, der den Kontakt zum Bauingenieur vermittelte. „Müther war aufgeschlossen und fand auch meinen ins Auge gefassten Standort im Kulturpark angemessen. Seine Bereitschaft, die Konstruktionsunterlagen zur Verfügung zu stellen und fachliche Unterstützung vor Ort zu geben, haben wir damals begeistert angenommen.“ Die Bauausführung war eine Herausforderung, aber es gelang: 1969 konnte die Hyparschale dann als Messe- und Veranstaltungshalle eröffnet werden.
Prägendstes Projekt aber wurde die Elbuferpromenade. Die Stadtverordnetenversammlung hat sich damals entschieden, das jahrzehntelang durch die Eisenbahn genutzte Elbufer mit parkähnlichen Grünanlagen in die Gestaltung des Stadtzentrums einzubeziehen. 1971 war Baustart für die „Promenade der Völkerfreundschaft“. Aber es gab ein Problem: Der städtische Grünanlagenbetrieb war in seiner Leistungsfähigkeit begrenzt und es hätte Jahre gedauert bis zur Fertigstellung der Promenade. „Daraufhin haben wir einen Aufruf an die Bevölkerung zur Mitarbeit gestartet und waren hellauf begeistert über die erfolgte Reaktion tausender Magdeburger. Es ging in großem Umfang um Schacht- und Pflanzarbeiten, um Wegebau, riesige Mengen an Mutterboden musste bewegt werden. Über Jahre kamen sie an den Wochenenden und haben Hand angelegt. Aber selbst in der Woche standen Leute mit Hake und Spaten bereit. „Ohne diese direkte Mitwirkung wäre das gar nicht möglich gewesen.“
Um den Gedanken der Völkerfreundschaft zu betonen, wurde die Stele der Völkerfreundschaft von Gerhard Rommel und Karl Möpert auf dem Lukashügel geschaffen, die auch im Friedenspark in Nagasaki (Japan) steht. Herzig: „Mit dieser Stadt fühlten wir uns eng verbunden, die durch eine US-amerikanische Atombombe im August 1945 völlig zerstört wurde.“ Es entstand schließlich ein ganzer Skulpturenpark, darunter Eberhard Roßdeutschers „Fährmann“ oder „Der Torwart“ von Herbert Burschik als Ausdruck der sportlichen Erfolge von 1. FCM und SCM.
Besonders hervorzuheben ist Joachim Sendlers 12 Meter hohe Großplastik. „In dieses Fahnenmonument haben wir damals ein Buch eingemauert, das tausende Namen von Magdeburgern enthält, die mit ihren freiwilligen Arbeitsstunden zur Gestaltung der Promenade beigetragen haben.“
Bei einem Besuch in Prag erlebte Herzig dann das Glockenspiel am dortigen Rathaus und war begeistert. Nachdem er solche Carillons auch in Brüssel und Magdeburgs Partnerstadt Lüttich klingen hören konnte, wollte er ähnliches auch in Magdeburg schaffen, denn das Türmchen auf dem Rathausdach stand leer. „Ich hatte eine enge Freundschaft zu Heinrich Apel und er gab mir den Hinweis zur Glockengießerei Schilling in Apolda. Wir fanden begeisterte und kompetente Meister ihres Faches, die ihr Handwerk beherrschten und das Carillon entwarfen. 47 Glocken wurden dafür gegossen – wie im Gedicht von Friedrich Schiller „Die Glocke“ erlebbar. Und Heinrich Apel hat die Schmuckelemente entworfen.“ Das Hauptproblem aber war die begrenzte Statik der Dachkonstruktion. Stadtbaudirektor Helmut Menzel hat dazu die Berechnungen angestellt. Um die dynamischen Kräfte klein zu halten, entschloss man sich statt schwingender Glocken für mechanische Klöppel. Die Installation des Glockenspiels fand direkt auf dem Alten Markt statt und lag in Händen von Heinz Gerling. Tage später wurde das fertige Schlagwerk mit einem Kran des Industriebaukombinates auf das Dach gehievt.
Die Einweihung des Carillons im September 1974 war ein Ereignis, bei dem 60.000 Magdeburger auf dem Marktplatz zusammenkamen, um dem städtischen Orchester im Gleichklang mit dem Carillon zu lauschen. Gespielt wurde Tschaikowskys „Overtüre 1812“. Der Direktor der Musikschule, Günter Bust hatte sich zuvor intensiv mit dem Spielwerk und melodischen Problemen befasst. Die große Frage hieß: Automatik oder Handspiel. „Eine Automatik schien mir wichtig und so haben wir damals das Geld aufgebracht, um beides möglich zu machen“, blickt Herzig zurück. Günther Bust bildete in der Folgezeit gezielt interessierte junge Leute zu Glockenspielern aus.
Das 50-jährige Jubiläum steht beim Tag der offenen Tür im Alten Rathaus am 28. September natürlich im Mittelpunkt.