© Kathrin
Wahid Nader
Geboren in Tartous: Wahid Nadar
Wahid Nader ist in diesen Tagen ein gefragter Mann in Magdeburg. Kein Tag vergeht für den Lyriker, Übersetzer und einzigen Arabisch-Sprachlehrer der Stadt ohne Übersetzer- oder Dolmetscheranfragen oder ehrenamtliche Einsätze – neben seinen Arabischkursen an Uni, Hochschule und Volkshochschule. Im Januar startet ein Crashkurs für Behördenmitarbeiter. Sie sollen vor allem lernen, wie Namen aus dem Arabischen ins Deutsche übertragen werden. Es gibt internationale Normen bei der Schreibweise von Namen, doch wo die Pässe fehlen, müssen Entscheidungen getroffen werden.
Von Syrien in die DDR
Die Wissenschaft von Reibung und Verschleiß, Tribologie, führte den jungen Ingenieur noch zu DDR-Zeiten an die Elbe. Die Universität von Aleppo schickte Nader damals zum Studium her. In ein absolutes Traumland. Der junge Syrer fühlte sich wohl, verliebte sich, gründete eine Familie. Kurz vor dem 3. Oktober 1990 ging es zurück nach Aleppo, fünf Jahre blieben sie, dann zog es vor allem seine Frau an die Elbe zurück. Aber die Stadt hatte sich verändert. Sie landeten in einem völlig neuen Gesellschaftssystem, es war die Zeit von Nazikrawallen und Straßenschlachten. „Anfangs habe ich meine Rückkehr sehr bereut“, erinnert sich Nader.
Heimat mal zwei: Syrien und Deutschland
Die aktuelle massenhafte Flucht aus seiner Heimat bedrückt ihn. „Ich kann es aber schlecht bewerten, wo ich doch selbst seit 30 Jahren hier lebe“, sagt er wie zur Entschuldigung. Die Stimme des lebhaften Mannes wird traurig. „Wenn ich sehe, wie vor allem die jungen Leute das Land verlassen, wie es ausblutet, das macht mich kaputt. Assad-Regime und ISIS bleiben zurück. Politisch und vor allem kulturell existiert Syrien nicht mehr.“ Einige seiner Geschwister harren im Kriegsgebiet aus. Täglich berichten sie ihm vom Terror, einem seiner Brüder sei eine Rakete genau zwischen die Füße gefallen. Es war ein Wunder, dass nichts Schlimmeres passiert sei. Nader hofft, dass die Politik es schafft, die Fluchtgründe an ihren Wurzeln, vor Ort in den Ländern, zu bekämpfen. So froh und dankbar er ist, dass Deutschland syrische Flüchtlinge großzügig aufnimmt, wünscht er sich vor allem eine Perspektive für die Flüchtlinge in ihrer Heimat, denn alle ließen sich nicht aufnehmen in Europa. Drei Viertel von ihnen, davon ist er überzeugt, werden zurückkehren. Denn: Syrien sei bis vor dem Krieg wirtschaftlich und sozial ein Land gewesen, in dem man gut leben konnte. Dass er selbst seit fünf Jahren nicht mehr bei seiner Familie sein konnte, schmerzt ihn. Wo er sich doch gerade ab seinem sechzigsten Lebensjahr vorgenommen hatte, mehr Zeit in seiner ersten Heimat zu verbringen. Doch Heimat heißt inzwischen beides: Syrien und Deutschland. Magdeburg nennt er seine „zweite Heimat“. „Ich suche mich noch immer in der Stadt, was bin ich für die Stadt, was ist die Stadt für mich.“ Seine Geburtsstadt Tartous und Magdeburg, das sind die Pole. „Manchmal“, sagt er „überwiegt Magdeburg.“
Dichter der zwei Sprachen
Der Lyriker schreibt auch längst in beiden Sprachen. Schon vor seiner Ankunft in Deutschland hat er deutsche Lyriker gelesen, die Klassiker. Liebesgedichte. Goethe, Heine, Herder ... alle auf arabisch. Damals war er der Meinung, dass die deutsche Sprache nicht geeignet sei für Gedichte. „So eine harte Sprache, so gar nicht romantisch ...“ Nader lacht. Doch das änderte sich schnell: „Man ist verliebt, und plötzlich beginnt man auch in einer fremden Sprache zu fühlen.“ Dichter heißt auf arabisch schā‘ir und bedeutet „jemand, der die Welt anders fühlt“. Der Dichter werde im arabischen Raum eher als Prophet verstanden, einer der göttliche Eingebungen hat, eine Offenbarung. Ob ihn dann die deutsche oder arabische Muse mit Ideen beschenkt, davon hänge ab, in welcher Sprache der Rohtext seiner Verse entsteht. Denkt er über seine beiden Heimaten nach, kommen eher Gemeinsamkeiten als Unterschiede zur Sprache, die ihn hoffnungsvolle Sätze sagen lassen. „Die Menschheit ist miteinander durch die Seele verbunden“, ist so einer. Europäische und syrische Kultur sind für ihn eng verzahnt. „Syrien war christlich vor dem Islam, die Römer haben das Christentum in Syrien kennengelernt. Ägypter und Assyrer waren die ersten Christen. Wir schreiben arabische Zahlen, Ostern entstammt der syrischen Mythologie“, sprudelt es aus ihm heraus. Und dennoch: welche Einflüsse woher kommen, ist dem Lyriker letztlich nicht so wichtig. Auf die Frage, welcher Religion er selbst angehört, antwortet er lächelnd: „Der Religion der Liebe. Denn Liebe stellt keine Bedingungen. Im Gegenteil: Der Liebende versucht, sich zu ändern, um sich der Geliebten anzupassen.“
Lesung beim IMPULS-Festival
Zum Abschlusskonzert des IMPULS-Festivals für Neue Musik wird Wahid Nader auf der Bühne zu erleben sein. Wieder geht es um Lyrik. Zusammen mit Schauspielerin Susi Wirth rezitiert er zweisprachig ein Gedicht des palästinensischen Lyrikers Mahmoud Darwish. Dieses ist Grundlage einer Komposition des palästinensisch-israelischen Komponisten Samir Odeh-Tamimi, „Hálatt Hissár“, die sich mit der Belagerung von Ramallah 2001 auseinandersetzt. Nader hat ohne Zögern zugesagt. „Es ist mir eine große Ehre, ein Gedicht des von mir verehrten Poeten zu rezitieren, der den Literaturnobelpreis verdient hätte.“
IMPULS-Festival für Neue Musik, Abschlusskonzert, 19./20. 11., 19.30 Uhr
© HL Böhme
Opernhaus/Theater Magdeburg
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