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Täve im Trikot des Straßenradweltmeisters
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© Sportarchiv Grau
Täve Schur
Täve mit Trainer Weyand 1955 bei „Rund um den Dom“ in Magdeburg
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© Sportarchiv Grau
Täve Schur
Täve 1957 in Dresden nach dem Gewinn der Deutschen Einzel- Straßenmeisterschaft
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© Günther Rowell
Täve Schur
hier beim Friedensfahrtsieg 1959 in Warschau
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© Bundesarchiv
Täve Schur
Finale der Friedensfahrt 1960 in Berlin
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© Dresslar/ Sportarchiv Grau
Täve Schur mit seiner Familie
Familienteam, natürlich auf dem Rad: Die Kinder Gus-Erik, Jan, Susanna und Gusti mit den Eltern Renate (verstorben 2020) und Gustav-Adolf Schur
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© Sportarchiv Grau
Täve Schur und Günther Grau
Unser Autor Günther Grau war Präsident des Radsportverbandes Sachsen-Anhalt und ist wie Täve einst Rennen gefahren. Die beiden kennen sich seit Jahrzehnten.
„Täve, Täve!“ brüllte es aus tausenden Kehlen. Dicht an dicht standen die Magdeburger an jenem 15. Mai 1960 entlang der Strecke durch die noch vom Krieg gezeichnete Altstadt. Es war die 12. Etappe der XIII. Internationalen Friedensfahrt und ihr Lokalmatador und Vorjahresgesamtsieger Gustav-Adolf Schur war in der Spitzengruppe dabei. Dann, bei der Einfahrt auf die Aschenbahn des Ernst-Grube-Stadions gab es einen regelrechten Begeisterungssturm. 40.000 war das offizielle Fassungsvermögen für das erst fünf Jahre zuvor neueröffnete Stadion, aber es müssen viel, viel mehr gewesen sein, die sich damals auf den aus Weltkriegsschutt geformten Wällen drängten und diesen Moment live erleben wollten. Am Ende gewann ihr Täve, so wie er von allen gerufen wurde, den Spurt vor dem Belgier Jean Baptiste Claes und dem Dänen Vagn Bangsborg. Das Stadion tobte, ein Junge aus der eigenen Stadt – nun ja, aus dem nahen Heyrothsberge - stand ganz oben auf dem Podest. Mehr denn je war Täve ihr Idol, war der personifizierte Aufbruch in eine neue Zeit.
Rückblende: Als Gustav Adolf Schur am 23.02.1931 in Heyrothsberge geboren wurde, war Magdeburg schon eine Radfahrerstadt, in der sich das Renngeschehen aber vor allem auf den Betonovalen einzelner Radrennbahnen abspielte. Der Vater war schon früh Mitglied im Heyrothsberger Arbeiterradfahrverein und hatte aus dieser Zeit einen sogenannten „Halbrenner“ Marke Diamant stehen. Nach Ausflügen in den Fußball- und Handballsport, machte sich Täve (gebräuchlicher Rufname für Gustav) dieses Gefährt wieder flott. Mit dem fuhr er nach Kriegsende auch zu seiner Lehrstelle im nahen Dörfchen Körbelitz, weil Material knapp war, dienten ihm damals Vollgummiringe aus dem nahen ehemaligen Heereszeugamt Königsborn als Bereifung.
Es war im März 1950, als die SG “Grün Rot“ Magdeburg ein sogenanntes Drahtreifenrennen nach Wolmirstedt und zurück ausschrieb. Der 19-jährige Täve startete und gewann. Nicht der Sieg an sich war die Überraschung, eher sein auf diesen 18,4 km herausgefahrener Vorsprung von 5:17 Minuten! Der Grundstein war gelegt, eine zur damaligen Zeit beispiellose Laufbahn schloss sich an. In der BSG Aufbau Börde unter Trainer Wilhelm Thiele und Leistungsträgern wie Horst Gaede, Heinz Höhne oder Kurt Hünerbein u.a., wurde er 1951 bereits DDR-Meister im Mannschaftsfahren, siegte in „Rund um Berlin“ und wurde Vierter bei der DDR-Rundfahrt. Ein Jahr später stand er zusammen mit Horst Gaede aus Barleben in der Friedensfahrtmannschaft, sorgte für erste internationale Aufmerksamkeit. 1953 und 55, oft in seiner Erfolgsskala vergessen, war er zweimal Studentenweltmeister. Es folgten der erste Friedensfahrtsieg und Bronze bei den Olympischen Spielen 1956 in Melbourne. Spätestens jetzt hatte die DDR ihren Sportstar. Er war inzwischen Mitglied im SC DHfK Leipzig und toppte seine Erfolgsbilanz durch den Gewinn von zwei Amateur-Weltmeistertiteln (1958/1959), einen weiteren Friedensfahrtsieg (1959).
Dann kam jenes Jahr 1960, sportlich nicht sein erfolgreichstes, aber gerade das ließ ihn endgültig zum Idol werden. Nach der Friedensfahrt, bei der er den Gesamtsieg von 1959 nicht wiederholen konnte, gelang es dem Rennradteam um Täve Schur bei den Olympischen Spielen in Rom trotz einer Silbermedaille im Mannschaftszeitfahren nicht, die hohen Erwartungen zu erfüllen. Schließlich hatten sie erst Wochen zuvor auf dem heimischen Sachsenring ihr Bravourstück abgeliefert. Bei der zur „schwersten WM aller Zeiten“ hochstilisierten Straßenweltmeisterschaft der Amateure gelang der Doppelsieg für Bernhard Eckstein vor Täve Schur. Das taktisch meisterhaft gestaltete Rennen wurde zum Medienhammer, aber auch oft verklärt dargestellt. Hin, wie her, es war das bis dahin größte Meisterstück im Amateurradsport der DDR und Täves Anteil daran riesig. Und seine Popularität anschließend noch viel größer. Quasi als Bestätigung seiner Beliebtheit gewann er in jenem Jahr zum bereits achten Mal die Wahl der Zeitung „Junge Welt“ zum beliebtesten Sportler der DDR, diesmal vor dem Skispringer Helmut Recknagel.
Ergänzt werden sollten in der langen Erfolgsliste noch durch jeweils neun DDR-Meisterschaften auf der Straße und Sportler des Jahres. In bleibender Erinnerung sind auch seine Siege im Schatten des Magdeburger Doms. So im überfüllten Bauarbeiter-Stadion bei den Etappenankünften der DDR-Rundfahrt, vier Erfolge in der schweren Harzrundfahrt oder seine Starts und Siege vor 80.000 Zuschauern bei Rund um den Dom in der Hegelstraße, ein Rundstreckenrennen welches damals noch Preis der Republik hieß.
Ruhiger ist es um Gustav-Adolf-Schur auch heute nicht geworden. Ehrenpräsident im LSB, Eintragungen in Goldene Bücher, Ehrung mit einer Graffitiwand am Friedensfahrtmuseum Kleinmühlingen, Ehrenbürgerschaften oder Ehrungen für sein Lebenswerk häufen sich. Nur die Aufnahme in die „Hall of Fame“ des deutschen Sports blieb ihm trotz zweier Anläufe 2011 und 2017 versagt. Und einen dritten wird es wohl nicht geben. Für mangelhafte Aufarbeitung der Dopingvergehen im DDR-Sport sollte er den Bußeweg gehen. Aber wer Täve kennt, weiß, dies lehnt er ab. „Ich bin auch ohne Aufnahme im nationalen Sport verankert“, ist seine Reaktion – in den Köpfen der Menschen ohnehin.
Auf dem Rennrad sitzt „Täve“ bis heute. Große Geheimnisse um seine geistige und körperliche Fitness macht er dabei nicht. Sein schlichtes Lebensmotto heißt: „Der Mensch bewegt sich nicht weniger, weil er alt wird. Er wird alt, weil er sich weniger bewegt.“ Darum sieht man ihn auch noch auf seiner geliebten Rennmaschine durch die Elbaue rollen. Natürlich viel weniger als früher, aber 60 km sind keine Seltenheit. „Um den Kopf mal frei zu bekommen, gehöre das dazu, behauptet er gern.
An seinem 90. Geburtstag wird der Briefkasten voller sein als sonst, das Telefon wird nicht stillstehen und doch wird durch die Viruspandemie alles anders sein. Wir gratulieren und wünschen ihm auf den Weg zu seinem großen Ziel, die 100, viel Gesundheit und rufen ihm zu: „Bleib, wie du bist!“