© Andreas Lander
Cabaret
Die Ensembleszenen bescheren kurze Gänsehautmomente.
Cabaret, das gab's doch schon mal am Theater Magdeburg erinnert man sich. Ja, tatsächlich. 2008 verwandelte sich die Bühne des Schauspielhauses in den verruchten Berliner Kit Kat Klub. John Kanders Musical auf kleiner Bühne. Die erste Reihe saß an kleinen Tischen direkt davor, eben wie in einem Cabaret. Das hatte etwas. Das Ensemble bestand damals zum Gros aus Schauspielern, die natürlich nicht immer einen schiefen Ton verhindern konnten. Nun verfrachtete Regisseur Sebastian Ritschel das gemütliche Spektakel auf die große Bühne im Opernhaus, mit ganz viel Bling Bling.
Mittelpunkt dessen ist stets die übergroße Treppe, in der Sebastian Ritschel ganz geschickt, die Pension von Fräulein Schneider versteckt. Das funktioniert natürlich wunderbar auf einer Drehbühne . Viel mehr ist da allerdings nicht. Die Treppe wird zum Kitkatklub, da ein Glitzervorhang, da der berühmte rote. Da ist Platz für große Ensembleszenen, wenn Cliff Bradshaw sein Berlin entdeckt, da ist Platz für Gänsehaut-Momente, wenn das Ensemble "Der morgige Tag ist mein" singt. Und doch packt es nicht, vielleicht einen Moment. Da stellen sich bei ein, zwei Liedern die Haare an den Armen auf. Man fühlt mit. So plötzlich es kam, so plötzlich verschwindet es wieder. Aber, warum?
Die Geschichte, die John Kanders Stück erzählt hält viel Dramatik bereit: Der amerikanische Autor Cliff Bradshaw sucht in Berlin seine Erfüllung und trifft am Silvesterabend auf die hübsche Kitkatklub-Sängerin Sally Bowles. Man lernt Fräulein Schneider und Herrn Schultz kennen. Er ist Jude, sie nicht. Bis dato kein Problem. Doch die tolerante und offene Atmosphäre Berlins wird Stück für Stück durch die bevorstehende Machtergreifung der Nationalsozialisten vergiftet, ein schleichender Prozess im Stück. Bei Ritschel nicht, da stehen Showelemente im Vordergrund, man könnte meinen, er lebt das Klischee des Genre Musicals. Viel zu früh taucht der Conferencier mit einem Hitlerbärtchen auf, viel zu früh sieht man die Girls in Kampfkleidung. Natürlich weiß man was kommt, aber so wirkt die nahende Bedrohung der Nationalsozialisten weniger bedrohlich. Ritschel legt zu sehr den Finger in die Wunde, als das wir uns vor dem was da auf die Personen zukommt fürchten könnten.
Den Darstellern kann man beiweitem keinen Vorwurf machen, sie spielen, sie singen wirklich sehr gut. Nur der Witz, die spontanen Zwischentönen fehlen, die die Inszenierung weg vom Unterhaltungsfaktor tragen und den Zuschauern tatsächlich den Ernst der Thematik ins Gedächtnis rufen. Zum Beispiel beim Treffen von Cliff und Sally, vielleicht wäre es mitreißender gewesen, hätte die beiden ein humorvoller Zufall im Klub zusammengeführt?
Vielmehr verliert sich die Inszenierung in der Ausweitung wirklich unwichtiger Momente, wenn Adrian Becker als Conferencier zum wiederholten Male seine Girls und seine Boys vorstellen muss. Die Girls in diesen aufwendigen, glitzernden Länderkostümen zu sehen macht natürlich Spaß, es ist etwas für das Auge, wie auch vieles von dem anderen, was man an diesem Abend auf der Bühne sieht.
Fakt ist: die Dramatik der Geschichte rückt vor allem im ersten Akt in den Hintergrund. Die Show-Elemente stehen dabei besonders im Mittelpunkt. Im zweiten Akt will man hingegen die teilweise auf der Strecke gebliebenen dramatischen Momente mit einem Mal aufleben lassen. Plötzlich wirkt alles düster, traurig, ein vollkommenes Kontrastprogramm, was so für den Zuschauer nicht nachvollziehbar ist. Sebastian Ritschels Inszenierung nimmt man zwiegespalten auf. Man sieht, genießt und wundert sich. Denn John Kanders Stück kann mehr als nur Unterhaltung sein - auch auf so einer großen Bühne, wie die des Opernhauses.
© HL Böhme
Opernhaus/Theater Magdeburg
Universitätsplatz 9, 39104 Magdeburg
Theaterkasse im Opernhaus Mo bis Fr: 10.00 bis 18.30 Uhr, Sa: 10.00 bis 14.00 Uhr Sonn- und Feiertags: geschlossen. Abendkasse öffnet eine Stunde vor Vorstellungsbeginn.