© Nilz Böhme
Jenny Lagner und Philipp Quest in Norway.Today
Ob sich Juli (Jenny Lagner) und August (Philipp Quest) gemeinsam in den Tod stürzen lässt Nachwuchsregisseurin offen.
Das Netz ist unendlich, so unendlich wie die Größe einer Damenhandtasche. Überall gibt es eine Nische für jegliche Probleme, ja selbst, wenn es um Selbstmord geht. Die 20-jährige Julie will ihrem Leben ein Ende machen und sucht dazu in einem Internetforum jemanden, der ihr folgt. Igor Bauersimas "Norway.Today" ist bei weitem kein einfaches Stück. Nachwuchsregisseurin Nina Baak inszenierte Bauersimas Dramatusierung einer realen Begebenheit auf der Studiobühne des Schauspielhauses.
Nun ist Selbstmord in unserer Gesellschaft immer noch ein tabuisiertes Thema, man spricht nicht drüber. Igor Bauersima holte es mit seinem Jugendstück "Norway.Today" 2000 auf die Theaterbühne. Eine Zeitungsnotiz über eine Verabredung zum Selbstmord vom 300 Meter hohen "Prekestolen"-Felsens an einem Fjord in Norwegen war Inspiration dafür. In den darauffolgenden Jahren gehörte es zu den meistgespieltesten Stücken auf deutschen Bühnen.
Den Anlass, warum sich die 20-jährige Julie und der 19-jährige August in Norwegen begegnen, umschückt Nina Baak in ihrer Inszenierung nicht. Das Internetforum, in dem Julie August findet, ist der Zuschauerraum. Aufwendig betextete Leindwände braucht Baak nicht, sie lässt Jenny Langner und Philipp Quest mit dem Publikum interagieren. Sie führen Monologe, stellen rhetorische Fragen an das Publikum. Umso intensiver erlebt auch das Publikum die Selbstzweifel, die Probleme der Protagonisten.
Trotzdem: es ist keine Selbstmordgeschichte, die Nina Baak erzählt, sie legt ihre Fixpunkte entlang einer möglichen romantischen Annäherung zwischen Julie und August und stellt Fragen nach dem Sinn des Lebens in den Mittelpunkt. Man sieht Jenny Lagner als Juli nicht, wie sie in einer tief depressiven Stimmung am Rande des Bühnenplateaus sitzen. Es ist eher, als würde sie eine Fassade aufsetzen, durch die man nicht so leicht durchdringen kann. Sie springt über das Plateau auf der kleinen Studiobühne, als wenn sie der glücklichste Mensch der Welt sei und liefert sich mit Philipp Quest als August immer wieder humorvolle, sprachliche Schlagabtausche. Man schmunzelt, lacht und vergisst für einen kurzen Augenblick, warum die beiden sich tatsächlich kennengelernt haben. Man sieht ihnen dabei zu, wie sie sich in der kalten Nacht im Zelt annäheren.
Die Handykamera als drittes Auge ist während der gesamten Inszenierung ein zentrales Element. Jeden noch so kleinen Moment wollen Julie und August festhalten. Als Julie und August mitten in der Nacht Polarlichter am Himmel entdecken, ist es fast, als ob sie mitten im Leben stehen. Julie fotografiert die Lichter, fotografiert August, als ob es ein ganz normaler Ausflug ist. Erst der anbrechende Morgen holt die beiden wieder in ihre gewollte Realität zurück, allerdings scheint es ein Wandel gegeben zu haben. Als Julie einen Abschiedsgruß für ihre Familie in ihre Handykamera sprechen will, ist diese kühle Berechnung, ist diese Gleichgültigkeit mit Blick auf ihren geplanten Selbstmord verschwunden. Die Fassade bröckelt. Das lässt vollkommen neue Erkenntnisse zu.
Selbstmord als zentrales Thema des Stückes - für ihr Debüt hat sich Nina Baak hohe Hürden aufgestellt, die sie bewältigt hat. Man lacht, man wird nachdenklich und verfolgt eine stringent erzählt Geschichte, die von den Dialogen und dem harmonischen Zusammenspiel der zwei Hauptdarsteller, Philipp Quest und Jenny Langner, getragen wird.
© Engelhardt
Schauspielhaus/Theater Magdeburg
Otto-von-Guericke-Straße 64, 39104 Magdeburg
Theaterkasse: eine Stunde vor Vorstellungsbeginn