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© Nilz Böhme
Der Scharfschütze und die Frauen
Als hin- und hergerissener Scharfschütze Ljoscha gelingt es Timo Hastenpflug das Publikum mitzureißen.
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Der Scharfschütze und die Frauen
Ja, der Alltag kann manchmal so stupide, so banal sein. Da ist die Toilette, da ist das Bett und da das Wohnzimmer. Sebastian Reck tobt sich als Mamaj in schickem Anzug, mit fiesem Grinsen und verzerrter Stimme auf der Foyerbühne des Schauspielhauses regelrecht aus. Die Marionetten in seinem perfiden Spiel während der Maidan-Proteste mimen Marie Ulbricht, Raphael Kübler, Johanna Paliatsou und Michaela Winterstein. "Die Frauen und der Scharfschütze" heißt das Stück von Tetjana Kyzenko, was im Rahmen des Theaterfestivals "Wilder Osten" im Schauspielhaus im Rahmen des Theaterfestivals "Wilder Osten" seine deutschsprachige Uraufführung feierte. Regie führte Oleksandra Sentschuk.
Blick auf vergangene Kämpfe beim Ukraine-Konflikt
Es ist noch nicht so lange her, als die Menschen auf den Maidan strömten, um gegen das ukrainische Regime zu demonstrieren. Hunderte von ihnen wurden getötet, zahlreiche andere verletzt. Die ukrainische Autorin Kyzenko nutzte dokumentarisches Material, um daraus ihr mitreißendes und verschreckendes Porträt einer zerrütteten Gesellschaft zu zeichnen. Wie verändert Krieg den Alltag der Menschen, was macht es mit ihnen. Der eine verdrängt, der andere stürzt sich mitten hinein ins Gewühl. Zentraler Handlungsort ist das Museum, dort verschanzen sich Marina (Marie Ulbricht), Justina (Johanna Paliatsou), Anna Iljinitschna (Michaela Winterstein) und Serjoscha (Raphael Kübler). Anfangs scheint die Welt noch perfekt - dann steigt immer wieder Rauch auf. Der Krieg rückt ihnen auf den Leib, ganz besonders Marina, deren Mann Ljoscha Teil der ukrainischen Armee ist und als Scharfschütze auf den Dächern zum Maidan sitzt und tötet.
Sebastian Reck mimt den Kriegsverführer
Die Geschichte hat vor allem Potenzial, weil Marie Ulbricht als Marina und Timo Hastenpflug als Scharfschütze Ljoscha einfach die Dramatik einer Beziehung vor dem Hintergrund eines Krieges mitreißend darstellen. Gerade die Unentschlossenheit, das Schwanken, das Timo Hastenpflug seiner Figur gibt, lassen noch tiefer in die Problematik eintauchen. Mal flüsternd, mal lauter werdend wiederholt er die Worte, er habe doch niemanden getötet. Es ist wie ein Mantra, das man ihm als Ljoscha nicht glauben will und kann. Marie Ulbricht lässt ihre Marina in eine Lethargie verfallen, lässt sie sich an das Museum klammern und den Krieg damit vollkommen ausblenden. Daran ändert sich nichts, als Ljoscha wieder in den Kampf muss. An der Seite von Timo Hastenpflug, Sebastian Reck, gleich in mehreren Rolle. Als Manaj agiert er als kriegslüsternder Günstling, zielgerichtet und etwas verrückt, vielleicht vom Krieg? Als Onkel Maya bezieht er mit Ljoscha, der von Timo Hastenpflug verkörper wird, Position am Maidan.
Pantomimenspiel als Ausdrucksmittel
Die Bühne ist eher minimalistisch gehalten, die antiken Säulen des Foyers tragen ihr übriges zur Museumsillusion bei. Große Leinwände als Bühnenhintergrund sind mal Kunst, mal Kanal für aktuelle Meldungen vom Maidan. Das Kriegsgeschehen kann man nur dadurch erahnen. Immer wieder verlassen Timo Hastenpflug und Sebastian Reck das Foyer. Dann sieht man sie nur noch über die Videoeinspielungen. Eine gelungene Illusion von zwei gegensätzlichen Schauplätzen. Auch an Requisiten wird gespart, das Pantomimenspiel steht stets im Vordergrund. Es werden Bilder angehängt, allerdings kann man sie nur mit der Kraft der Fantasie sehen. Das wirkt besonders bei der ironisierten Werbepause mit kriegsrelevanten Produkten. Michaela Winterstein ist da die Werbefee, die vollen Körpereinsatz zeigt, um mit sanfter, eindringlicher Stimme den Krieg einfacher zu machen. Es ist erschreckend und so absurd, dass das Lachen im Halse stecken bleibt. Eine Frage bleibt, wie würdest du mit so einer Situation umgehen, würdest du verdrängen oder dich ins Geschehen stürzen?
Premiere "Die Frauen und der Scharfschütze", 19. Mai, 19.30 Uhr
© Engelhardt
Schauspielhaus/Theater Magdeburg
Otto-von-Guericke-Straße 64, 39104 Magdeburg
Theaterkasse: eine Stunde vor Vorstellungsbeginn