© Igor Gaidai
Vlad Troitsky
Inszeniert auch das Mädchen mit den Streichhölzern am Schauspielhaus: Vlad Troitsky
Sein Dakh-Theater ist das Aushängeschild für die freie Theaterszene in der Ukraine. Vlad Troitsky, der wagt etwas, der hat Ideen und Visionen und liebt das Theater. Bei seinen Inszenierungen setzt er das Publikum auch mal in einen Käfig, lässt die Schauspieler eine Geschichte über ihren Köpfen erzählen und die politischen Geschehnisse bleiben dabei nicht außen vor. Für das Theater Magdeburg bringt er Fjodor Dostojewskij weitestgehend unbekannte Erzählung „Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner“ auf die Bühne und verspricht, dass es ungewöhnlich aber schön wird.
Amerika hat einen Präsidenten, der scheinbar kein Feingefühl für das politische Geschehen hat. Die Menschen gehen auf die Straße. Auch in Europa gehen die Menschen auf die Straße und wollen Veränderung. Können Massen bei politischer Unzufriedenheit immer etwas bewirken? Natürlich können die Massen etwas bewirken. Es ist nur die Frage, wie veränderbar die Masse selbst ist. Menschen, die für Geld auf die Straße gehen, können nichts verändern. Sie können die Regierung stürzen, bleiben aber so infantil wie vorher. Dann kommt der nächste nette Mensch, der ihnen scheinbar alle ihre Fragen beantworten kann.
Das trifft bei der Figur des Forma aus dem Stück zu. Er ist gemein, die Menschen folgen ihm trotzdem. Das ist doch falsch. Die Frage ist doch, was ist das Richtige oder das Falsche? Ich würde nicht das Risiko übernehmen wollen zu urteilen. Da muss man eher die Frage stellen: für wen? Zum Beispiel bei der Person Putin. Für die Ukraine ist er schlecht. Ich vermute, dass er für Europa auch nicht das allerbeste ist. Die Russen sind glücklich mit ihm. Für mich ist auch die Frage, inwieweit die Menschen bereit sind, die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen und es nicht einer anderen Person zu überlassen.
Dostojewskijs Stück gehört zu seinen wenig bekannten Werken und doch bildet es die Probleme der Gegenwart sehr gut ab, warum steht es dennoch so sehr im Schatten von „Schuld und Sühne“? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Vielleicht, weil die anderen Werke von Dostojewskij tragischer sind als Stepantschikowo .
Sie haben in der Vergangenheit bereits einige Stücke inszeniert. Was fasziniert Sie an Dostojewskijs Werken? Er trifft die schmerzvollsten Punkte in den Menschen. An verschiedenen Etappen meines Lebens habe ich viele Stücke von ihm inszeniert, zum Beispiel „Sieben Tage mit dem Idioten“. Das ist ein Einpersonenstück, was nach den Motiven von Dostojewskijs Roman „Der Idiot“ geschrieben wurde.
Wie wird nun die deutsche Erstaufführung aussehen? Ich lege großen Wert auf Live-Musik. Sie ist wichtig, mit ihr wird eine Parallelwelt aufgebaut. Das ist auch typisch für meine Arbeit, umso besser, wenn das Ensemble so musikalisch ist. Es wird eine Form des rituellen Theaters, das ist meine Geheimwaffe. Zu 80 Prozent weiß ich, wohin ich will. Es wird ungewöhnlich aber schön.
Diese Unabhängigkeit könnte man an einem staatlichen Theater in der Ukraine nicht genießen. Das stimmt. Diese Freiheit hat man dort nur an den freien Theatern. Die ist allerdings sehr teuer, weil man keine Förderung bekommt. Da muss man erfinderisch sein und Projekte finden, die selbstständig laufen können, also Gastspiele wie die Dakh Daughters oder mein neues Projekt „Die neue Oper“. Die ukrainischen Stadttheater haben selten Motivation etwas zu verändern. Sie existieren wunderbar in ihrer eigenen Welt.
Ein hartes Pflaster und trotzdem haben sie sich 1994 dafür entschieden ein eigenes Theater zu eröffnen. Warum? Ich war verrückt. (lacht) Ich habe viele Stationen in meinem Leben gehabt, war in der Wissenschaft, Wirtschaft und habe bis dahin etwas Theater gemacht. Das wollte ich nun vertiefen und mehr Zeit mit Theater verbringen.
Das hält bis heute an. Genau. Das Theater ist wahrscheinlich der einzige Ort, an dem du in einem Monat eine eigene Welt bauen kannst. Und das Theater ist wahrscheinlich auch der einzige Ort, an dem du ernsthaft über ernste Themen reden kannst. Du kannst nicht wirklich zu Hause reden, nicht wirklich in einer Kneipe. Stellt sich ein Theater der Herausforderung, ernsthafte Themen auf die Bühne zu bringen, kann das sogar reeller als das Leben werden. Und dann kannst du im Theater tatsächlich Menschen sehen.
Aber die sehen wir doch auch so. Eher nicht, denn die Menschen maskieren sich. Wir haben auch einfach Angst, offen zu anderen zu sein. Sie können sich mal selbst die Frage stellen: wann war das letzte Mal, bei dem sie mit einem Menschen gesprochen haben.
Zur Veranstaltung: Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner, 18.3.
© Engelhardt
Schauspielhaus/Theater Magdeburg
Otto-von-Guericke-Straße 64, 39104 Magdeburg
Theaterkasse: eine Stunde vor Vorstellungsbeginn