© Nilz Böhme
Führen ungleiche Leben: Die Zwillinge Em und Henril
Frau Lanzino, Beethovens „Fidelio“ entstand unter dem Eindruck der napoleonischen Herrschaft in Europa. Kann man der Oper heute eine vergleichbare politische Brisanz zuschreiben, Stichwort beispielsweise Nawalny?
Den Vergleich mit Nawalny halte ich für zu kurz gegriffen. Die Brisanz dieses Ereignisses ist nicht zu leugnen, aber es beeinflusst nicht unseren Alltag. Ich halte ein anderes Thema für hochaktuell und drängend in unserem Leben, die Klimakrise.
Wie spiegelt sich diese konzeptionelle Entscheidung in ihrer Lesart des Stücks wider?
Florestan sagt im zweiten Akt „Wahrheit wagte ich kühn zu sagen und die Ketten sind mein Lohn“. Das ist einer meiner Lieblingssätze im Stück. Ich frage mich: Welche unangenehme Wahrheit hat er ausgesprochen? Und warum wird er eingekerkert? In meiner Interpretation warnt Florestan vor Konsequenzen der Klimakrise. Etwas muss sich ändern, sonst fahren wir gegen eine Wand. Das ist unbequem für eine Gesellschaft, die ihre Gewohnheiten nicht ändern will. Also muss Florestan beseitigt werden, damit sie weiter machen können wie bisher. In meiner Interpretation kehre ich deshalb den Begriff vom Gefängnis um. Florestan wird nicht eingesperrt, sondern ausgesperrt. Ausgeschlossen vom politischen Diskurs, damit er ungehört bleibt. Die anderen Figuren führen im ersten Akt ein glückliches Leben in einer „Kapsel der Seligkeit“, die alles ausschließt, was man nicht sehen will. Sie sind auf der Suche nach dem individuellen Glück, fern von jeglichem Verantwortungsbewusstsein.
Wie drückt sich diese „Kapsel der Glückseligkeit“ und das alles mehr im Inszenierungsstil aus?
Ich gehe nicht realistisch ran, sonst wäre es mir ein bisschen zu moralisch. Ich wähle einen ästhetischen, surrealen Stil. In der „Kapsel der Seligkeit“ erleben wir einen geschlossenen Raum, in dem die Menschen die Schwerkraft leugnen und die Räumlichkeiten auf dem Kopf stehen. Die Zeitungen sind alle leer und die Fernseher zeigen nur weißes Rauschen. Durch diese surrealen Mittel erzähle ich, dass die Menschen in der Kapsel gar nicht erfahren wollen, was wirklich in der Welt außerhalb passiert. Der Inszenierungsstil ist entsprechend absurd und choreographisch. Im zweiten Akt breche ich diesen Stil und das ganze wird dramatischer, realistischer, echter, weil man näher an der Wahrheit ist.
Wie und wo verorten Sie die Gefangenen?
Die Gefangenen, arme Schlucker und Besitzlose, die die Konsequenz der Klimakatastrophe bereits erleben, sind ebenfalls nicht ein- sondern ausgesperrt, aus dieser Welt des Konsums. Sie dringen in den bürgerlichen Kosmos, die Blase der Seligkeit, ein und werden wieder ausgesperrt.
Welche Rolle spielt bei Ihnen Pizarro?
Pizarro ist keine Politikerfigur, sondern ein glänzender Unternehmer. Er vertritt das Prinzip des Neoliberalismus.
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© HL Böhme
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