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Ben Becker
Ben Becker "Ich, Judas"
Herr Becker, Sie sind ein großer Box-Fan. Ist Ihre „Judas“-Show körperlich so anstrengend wie Boxen? Mehr. Es ist sehr heftig. Die Show dauert anderthalb Stunden, aber gefühlt sind es über drei.
Ist es ein Unterschied, ob man so was in der Kirche macht oder in Hallen, wie Ihre Bibel-Lesungen vor Jahren? Ja, ist ein Unterschied. Weil, Akustik in der Kirche ist schwierig. Ansonsten ist für mich eine Kirche ein heiliger Ort und ein Theater auch. Ob Christ oder Kommunist.
Sind Sie noch Kommunist? Wenn Sie es genau wissen wollen, Anhänger von August Thalheimer.
Muss ich passen. Habe ich mir fast gedacht. Dialektischer Materialismus. Ein Tisch ist ein Tisch und ist kein Tisch. Ja, ich bin letztlich immer noch Kommunist. Aber nie Anhänger gewesen des ehemals angeblich real existierenden Sozialismus. Interessiert mich nicht, war Scheiße.
Sind Sie früher öfter mal rüber nach Ostberlin? Nur, weil die Sportkleidung da so billig war. Turnhosen kaufen und so. Wenn die in der Schule gesagt haben, wir machen mal einen Kulturausflug nach Ostberlin, war ich total genervt. Schön war, ich habe in einer Stadt gelebt, von der ich die andere Seite nicht kannte und die wollte ich auch nicht kennen lernen, ich war mir selbst genug. Na ja wobei, war schon spannend.
Was? Die Zeit, total geil.
Vermissen Sie die? Manchmal würde ich schon sagen: Danke schön, das war’s. Geht mir doch nicht auf die Eier, ihr ganzen Pfeifenköppe.
Was nervt Sie so sehr heute? Ich finde, dass die ganze Zeit heute sehr unübersichtlich geworden ist. Ich blicke kaum noch durch, es gibt so viel Scheiße, ob mit dem Klima oder nimm das mit dem Reis. In Indien gibt es so viel Reis und so viele hungernde Kinder, das stimmt nicht. Der Reis wird zu uns verfrachtet für irgendwelches Tierfutter, damit wir bei McDonalds futtern können. Oder in Syrien flippen die Freaks aus und bringen den Koran völlig durcheinander und dann gibt es Skinheads aus Spandau, die wollen da unten aufräumen ... und wir verkaufen Heckler- & Koch-mäßig über drei Ecken die Waffen da runter und reden über Klimaschutz. Das ist Kapitalismus. Und deshalb setze ich mich mit der Bibel auseinander und mit Judas Ischariot.
Wie haben Sie es sonst so mit der Kirche? Na, so wie Sie, ha, ha, ha.
Ich hab’s gar nicht mit der Kirche. Ich gehe ab und zu mal hinein. Das kann ich jedem empfehlen. Das hat nichts damit zu tun, ob man wahnsinnig gläubig ist. Man geht einfach rein und hat einen Moment Ruhe für sich. Und einen Moment für Kommunikation mit dem Typen, der da oben hängt.
Sie meinen .. ... Jesus Christus. Mit dem kann man sich in aller Stille unterhalten. Kirche ist durchaus ein Ort, wo man mal in Ruhe reflektieren kann.
Sie waren auch schon im Kloster? Des Öfteren und ich gehe immer wieder gern hin. Einfach so, um runterzukommen.
Haben Sie sich vor der „Judas“-Show mit Kirchenleuten zusammengesetzt und sich beraten ? Ich habe mich mit intelligenten Leuten auseinandergesetzt, mit John von Düffel vom Deutschen Theater. Und ich habe natürlich auch Kirchenfreaks angerufen, wenn ich eine Frage hatte. Wenn ich mich aus dem Fenster lehne, mache ich mich vorher halt kundig und frage Leute, die ein bisschen Ahnung haben, ob das so geht, wie ich es mache. Auf Glatteis bewege ich mich eh.
Ist die „Judas“-Geschichte für Sie interessant, weil Sie auch eine Sündenbock-Geschichte ist? Ne, es ist einfach ein toller Text. Er hat mit der heutigen Zeit zu tun, wer verrät wen. Die Flüchtlingsströme, die Völkerwanderung, wer hat die Leute verraten. Wer hat Griechenland verraten? Schröder? Das Thema Verrat ist ein spannendes Thema, das mich sehr interessiert, gerade in dieser Zeit.
Haben Sie persönliche Erfahrungen mit Verrat? Ja! Ja!
Wollen Sie darüber erzählen? Nein! Es hat sehr wehgetan. Das muss ich aber nicht in der Öffentlichkeit erzählen.
Okay. Wie hat mein verstorbener Vater Otto (Stiefvater Otto Sander/d.R.) gesagt: Du kannst machen, was du willst, aber verarsch mich nicht, sonst werde ich sauer beziehungsweise traurig. Das habe ich mir gemerkt.
Das eine ist, ob dem Publikum Ihre Vortragskunst gefällt, das andere, ob es auch darüber nachdenkt ... Entweder man hat Spaß an Literatur und ernsthaften Sachen oder man lässt es und guckt sich „Alarm für Cobra 11“ an. Ich versuche mir Mühe zu geben, Kunst rüber zu transportieren und Leuten irgendwas zu vermitteln und ernsthafte Fragen zu stellen und die häng ich an die große Glocke.
Meine Frage zielte dahin: Es gibt heute einen großen Teil Publikum, ganz generell, der sucht vor allem das Spektakuläre, den Event mit Berühmtheiten ... Na, dann sollen sie doch kommen, ist doch schön. Bin ich doch dabei. Das ist doch eine Antwort. Ich kann diese Anpisserei nicht mehr ab.
Ich habe Sie nicht angepisst. Nein, ist okay, ich weiß es doch auch nicht. Da überlegt man sich was bei einer Arbeit, und die Leute denken, ich mache Kasperletheater. Und dann sagen noch welche, das Krokodil ist scheiße, weil es so nachdenklich ist. Geht’s noch?!
Fühlt sich nicht gut an? Nicht gut? Da geht der Arsch auf Grundeis! Trotzdem finde ich, das Stück von Walter Jens gehört da hin. Den Rhetoriker in die Kirche zu bringen, ist heavy und mutig. Dass die mich da überhaupt reinlassen! Aber christlich-gläubige Menschen, egal welcher Konfession, sind eben offen für Fragen, offener als parteipolitisch anhängende Menschen. Fragen stellen ist erlaubt. Als Künstler muss ich auf der Bühne Fragen stellen, die ich mir manchmal selber ausdenke und manchmal aus der Literatur hole. Deshalb bin ich nicht bei „Alarm 11“, sondern gucke im Buchregal, was hat Joseph Roth geschrieben oder Walter Jens. Da wird’s interessant.
Sie haben mir vor Jahren gesagt, Sie würden gern mal mit dem Papst ein Duett singen. Der Papst muss aufpassen, dass sie ihn nicht um die Ecke bringen.
Ist der Ihnen sympathisch? Ja. Ich finde den gut, aber die Frage ist ja, was ist der Papst, brauchen wir einen Papst.
Brauchen wir überhaupt eine Kirche? Das ist mir zu privat.
Dom zu Magdeburg "St. Mauritius und Katharina"
Am Dom 1, 39104 Magdeburg
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Täglich geöffnet Mai - Sept: 10-18 Uhr, April und Okt: 10-17 Uhr, Nov - Mrz: 10-16 Uhr, Sonn- und kirchliche Feiertage ab 11.30 Uhr, Eintritt frei.