© Andreas Lander
Domplatz OpenAir: West Side Story
Beeindruckt mit seiner Stimme: Anton Zetterholm als Tony
Klassiker gehen immer. Erst recht wenn man sie Open Air noch größer, noch besser darstellen und das New Yorker Hinterhof-Feeling dank imposanter Kulisse Hochhaus-Kulisse, die mit dem Dom zu verschmelzen scheint, noch besser transportieren kann. Längst ist das Theater Magdeburg beim DomplatzOpenAir scheinbar davon ab, neue unbekannte Stoffe beim traditionellen Sommerspektakel auf die Bühne zu bringen. Man setzt auf die gelungene Mischung von erfahrenem Musicaldarsteller, energiegeladenem Nachwuchs und das hauseigene Ensemble aus Chor, Ballett und Solisten und das funktioniert, wie man jüngst bei der Premiere der West Side Story wieder erleben konnte.
Schöne Ensembleszenen
Die Melodien von Leonard Bernsteins umjubelter West Side Story hat man sicher noch im Ohr, wenn man auf der riesigen Tribühne auf dem Domplatz sitzt und wenn nicht, dann erinnert spätestens der Prolog der Sharks und Jets daran, was man in der Schule intensiv analysiert hat. Da ist es, dieses markante Schnipsen. Erst ist es nur leise, nimmt dann allerdings an Fahrt auf. Dann steigen Blechbläser, Saxophon und Gitarre ein. Das große Orchester ist übrigens hinter einem riesigen Werbeplakat, mit einem Song der West Side Story sehr gut versteckt. Auf der Bühne kriechen also nun die Jets aus ihren Löchern, steigen aus Fenstern, tauchen am Bühnenrand auf. Tänzerisch erobern sie sich die Bühne, dann tauchen die Sharks auf. Bei ihnen dominiert die Farbe rot, ist es südamerikanische Temperament? Eine schöne Idee, vor allem auch wichtig um bei der Vielzahl an Darstellern als Zuschauer Unterschiede erkennen zu können. Wer gehört zu welcher Gang? Das wird gerade in den Ensembleszenen umso spannender, weil Gil Mehmert am Rande auch kleine Geschichten erzählt. Also die Geschichten innerhalb der Banden, warum ist ein "Action" so aggressiv wie er ist? Da muss man genau hinschauen und zu hören.
Mehmert erzählt kleine Geschichten am Rande der tragischen Geschichte
Nehmen wir zum Beispiel Anybodys, das Mädchen der Jets, was eigentlich gar kein Mädchen sein will. Da kann man sich eben auch mal auf der Bühne prügeln. Beim Domplatz OpenAir füllt Vera Weichel diese Rolle aus. Braunes Cap, Lederjacke und eine unheimliche Energie lassen sie immer wieder in den Mittelpunkt rücken, auch wenn nur kurzzeitig, denn Anybodys darf ja nie dabei sein, weil sie eine Frau ist. Mehmert verknüpft diese Rolle mit humorvollen Einsätzen und spielt mit Frauen und Männerrollen als sich zum Beispiel Anybodys auf dem Ball in die Reihe der Männer mischt.
© Andreas Lander
Domplatz OpenAir: West Side Story
Anita (Andrea Sánchez del Solar) und Bernardo (Sascha Luder) zeigen wie Mambo geht: das Tanzbattle in der Schule
Rock 'n' Roll trifft auf Mambo
Ja, der Tanzwettbewerb in der Schule, der gehört zu den Schlüsselmomenten im Stück und das macht auch Mehmert in der Art der Inszenierung deutlich. Ein weißer Truck mit Luftballons markiert den Mittelpunkt des Geschehens. Rings herum Sharks und Jets, natürlich schön voneinander getrennt. Mambo-Rhythmen erklingen und das Spektakel entbrennt auf der Bühne. Ein richtiges Tanzbattle, wo man nicht recht weiß, wer die Nase vorn hat. Sind es Bernardo (Sascha Luder) und Anita ( Andrea Sánchez del Solar ) oder Riff (Markus Schneider) und sein Babe? Südamerikanische Heißblütigkeit trifft da auf eine Ballett und Rock 'n' Roll Elemente im Tanz. Plötzlich verliert die Musik an Fahrt, Maria (Iréna Flury) und Tony (Anton Zetterholm) begegnen sich zum ersten Mal. Kurzzeitige melodische Einschläge markieren das vorsichtige Kennenlernen. Wie zwei Engel stehen sich die Zwei gegenüber, wie zwei Heilsbringer, die am Ende all den Ärger zwischen den Banden vergessen lassen.
Schmachten auf Schwedisch
Dann kommt es, das lang erwartete Schmachten von Anton Zetterholm mit dem Song "Maria", dabei steigert er sich Stück für Stück, spielt mit den Höhen und Tiefen seiner Stimme. Ja, ihm gelingt es auch die opernhaften Momente dieser anspruchsvollen Rolle zu meistern. Da steht kein Casting-Tarzan auf der Bühne, die Vorschusslorbeeren, die er als ehemaliger Casting-Teilnehmer bekommen hat, braucht er längst nicht mehr einfordern. Gemeinsam mit Iréna Flury gelingt es ihm das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Gemeinsam lassen sie die Gefühle in der Balkonszene hochleben, feiern bei "Tonight" die Liebe und führen uns auf schmerzvolle Weise vor Augen, was passiert, wenn der Hass zwischen zwei Gruppen nicht vergeht. Dann, ja dann wird es immer Opfer geben, egal zu welcher Zeit. Die Emotionen erobern die Bühne, aber rücken durch den Fokus auf die Ensembleszenen mehr in den Hintergrund auch wenn es schön anzusehen ist, wie Tony den Balkon zu seiner Geliebten erklimmt.
Fest steht: Gil Mehmert ist es gelungen eine sehenswerte Inszenierung von Bernsteins Klassiker auf die Bühne zu bringen. Es ist eine gute Balance zwischen großen Ensemble-Szenen, die es einfach bei einem so großen Open-Air-Spektakel braucht und gefühlvollen Momenten. Langweile kommt nicht auf, da die Inszenierung immer mehr an Tempo aufnimmt außer in den leisen Momenten, also dann wenn es um die ganz großen Gefühle zwischen Maria und Tony geht. Es lohnt sich genauer hinzuschauen, denn neben der großen Liebesgeschichte sind die Einzelschicksale in den Banden interessant dargestellt.