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Ein bildgewaltiges, cineastisches Dokument: Vogelperspektiven
Herr Dr. Schäffer, wie oft müssen Sie sich dumme Sprüche mit „Vögeln“ anhören?
(lacht) Eigentlich gar nicht so häufig! Aber ich glaube, es hilft ein bisschen, wenn man sich nicht ganz so ernst nimmt. Unsere Anliegen, der Natur- und der Artenschutz, sind wichtig. Die ganze Zeit mit erhobenem Zeigefinger rumzulaufen, würde aber auch keinen Spaß machen. Ich werde immer mal wieder als der oberste Vogelschützer Bayerns bezeichnet und das ist ein Titel, auf den ich stolz bin.
Waren Sie von der Idee, Ihr Wirken in den Mittelpunkt einer Kinodokumentation zu stellen, sofort begeistert?
Ich war 20 Jahre lang in Großbritannien im internationalen Naturschutz tätig. Als ich zurückkam, erhielt ich einen Anruf von Ingo Fliess, einem ehemaligen Mitschüler. Er hat gesagt, er wäre Filmproduzent und würde mich gerne mal treffen und einen Film machen. Er meinte, er bräuchte nur unsere Zusage, dass wir einen Kameramann und Tontechniker mitnehmen, wo immer es auch geht. Egal, ob Vorstandssitzung, Außentermine oder Treffen mit Politikern. Wir hatten keinen Vertrag, wir haben nichts inszeniert und es war ausgeschlossen, irgendetwas zu widerrufen.
Im Film heißt es: „Vogelbeobachtung ist eine Lebensform.“ Würden Sie das unterschreiben?
Das ist natürlich etwas „künstlerisch“ ausgedrückt. Was aber sicherlich stimmt – und das kenne ich auch von mir – ist, dass Vogelbeobachtung nichts ist, was man auf ein paar Stunden beschränkt. Vögel sind eine der wenigen Tiergruppen, die immer und überall um uns sind. Egal, ob in der Innenstadt von München oder in der Kernzone des Nationalparks „Bayrischer Wald“, auf hoher See oder im Hochgebirge. Ich sehe immer irgendwo Vögel, zu jeder Jahres- und Tageszeit. Wenn man anfängt, auf die Vögel zu achten, stellt es sich bei vielen Menschen sehr schnell, dass sich das Radar ein öffnet und man genauer hinschaut. In England ist das übrigens deutlich verbreiteter. Dort ist es normal, dass man beim Sonntagsspaziergang ein Fernglas umhängen hat und beim Einkaufen Leuten auf dem Supermarktparkplatz auffällt, wenn sich dort Seidenschwänze im Winter versammeln. Ist Vogelbeobachtung also eine Lebensform? Sie ist ein roter Faden, den viele Menschen entdecken.
Der Film zeigt Sie als einen Diplomaten an allen Fronten, der zwischen den Bedürfnissen der Natur, dem Bürgerwillen und der Politik vermittelt. Keine dankbare Aufgabe, oder?
Also mir macht es sehr viel Spaß. Ich bin mit großer Leidenschaft LBV-Vorsitzender und muss sagen, dass ich gerade im internationalen Naturschutz solche Zerstörungen gesehen habe, dass mich nichts und niemand in Bayern erschüttern kann. (lacht) Natürlich haben wir viele Rückschläge. Wie hält man das aus? Die Antwort ist: Im Vergleich zu dem, was ich an anderer Stelle gesehen habe, geht es uns wirklich gut. Diplomat? Ja, es ist eine große Bandbreite von Aufgaben, die ich habe. Im Prinzip geht es aber wirklich darum, für Naturschutz und den klassischen Artenschutz zu werben und die Menschen – egal ob Politiker, die Öffentlichkeit oder die Medien – für unsere Ziele zu gewinnen. Gerade da ist es uns, dem LBV, wichtig, dass wir unsere Forderungen und Aussagen als wissenschaftlicher Fachverband gut begründen.
Dabei sind Sie sich sehr bewusst, dass manche Menschen Sie und Ihre Mitstreiter als Nerds ansehen.
(lacht) Das muss man akzeptieren. Wenn jemand wenig Zugang zur Natur hat und sieht, was der LBV macht, ist es erklärungsbedürftig. Wir können aber erklären, was wir machen und warum. Ein ganz einfaches Beispiel: Wenn Sie meinen Garten sehen, ist der sehr wild. Der ist nicht immer ästhetisch schön aufgeräumt, wie mancher das erwartet. Wir haben keinen Mähroboter oder Rasenmäher. Es kann natürlich sein, dass Leute über den Gartenzaun schauen und sagen: „Oh, wie sieht es denn bei Schäffers aus?“ Wenn wir aber erklären, dass wir das machen, weil wir gerne Zauneidechsen haben und die Rotkehlchen bei uns brüten, erschließt sich das für viele Menschen.
Wie wichtig ist der Schutz der lokalen Biodiversität noch, wenn die ganze Welt scheinbar dem Untergang geweiht ist?
Ob sie das ist, sei mal dahingestellt. Dass wir natürlich riesengroße Herausforderungen haben, wie Klimaschutz und den Schutz der biologischen Vielfalt, ist unbestritten. Ich glaube nicht, dass es hoffnungslos ist. Gerade der LBV hat mit einer Reihe von Projekten gezeigt, dass wir erfolgreich sein können. Als ich Mitte der 80er Landesjugendleiter beim LBV war, hatten wir um die 50 Weißstorch-Brutpaare in Bayern. Wir haben uns damals allen Ernstes überlegt, ob wir den Weißstorch aufgeben sollten, weil wir die Situation nicht in den Griff bekamen und er sowieso aussterben würde. Warum sollten wir da Zeit und Energie investieren? Wir haben uns dann doch um jedes einzelne Brutpaar gekümmert und haben jetzt wieder über 1.000 Paare. Ja, wir stehen vor riesengroßen Herausforderungen, vor allem international, aber auch in Deutschland. Doch diese Hoffnungslosigkeit, die wir immer wieder sehen und die auch durch manche Medien befeuert wird, halte ich nicht für gerechtfertigt. Beunruhigung ja, aber keine Hoffnungslosigkeit. Wir versuchen Menschen für unsere Ziele zu interessieren. Nicht durch schlechte Nachrichten, wir appellieren nicht an Disziplin. Wir wollen keine Betroffenheit erzeugen, Begeisterung ist uns viel wichtiger.
Im Film heißt es, dass der Naturschutz nicht am Geld scheitern darf. Betrachten Sie die zukünftige Wirtschaftslage als bedrohlich?
Es ist im Naturschutz tatsächlich viel Geld da. Gerade nach dem Volksbegehren Artenvielfalt „Rettet die Bienen!“ gibt es in Bayern viel Geld und auch auf Bundesebene ist mehr Geld da als zuvor. Im Moment scheitert der Naturschutz eher an der Bereitschaft, Veränderungen herbeizuführen. Beispiel Wiedervernässung von Niedermooren. Die Moore zersetzen sich immer mehr, dazu gibt es auch eine Szene im Film. Der Ministerpräsident sagt uns im Film 200 Millionen zu. Wir bekommen das Geld aber nicht ausgegeben, weil man nicht bereit ist, Veränderungen herbeizuführen und ins Eigentum einzugreifen. Geld ist da. Was die derzeitige politische und wirtschaftliche Lage angeht, besteht eher die Gefahr, dass diejenigen, die noch nie Interesse an Naturschutz hatten, jetzt plötzlich Oberwasser bekommen und sagen: „Wir können uns keine Schutzgebiete im Wald leisten, weil wir unser Holz verfeuern müssen. Wir können uns keine Rückzugsflächen für Natur in Agrarlandschaften leisten, weil wir dort Lebensmittel produzieren müssen.“ Uralte Forderungen wie Unabhängigkeit von russischem Gas oder Lebensmittel für die hungernde Bevölkerung in Afrika werden damit jetzt moralisch unterfüttert. Da wird der Krieg instrumentalisiert und missbraucht. Das ist die größere Gefahr.
„Vogelperspektiven“ endet mit Impressionen von der „Fridays for Future“-Bewegung. Was halten Sie von den Aktionen der „Last Generation“?
Der Film ist natürlich ein Stück weit auch ein Kunstwerk und wir konnten nicht zwischen mehreren Schlussszenen wählen. Die Filmemacher haben dafür „Fridays for Future“ gewählt, was natürlich für den Umwelt- und Klimaschutz eine wichtige Bewegung ist. Es ist aber nicht typisch LBV. Auch wenn wir inhaltlich „Fridays for Future“ und „Die letzte Generation“ voll und ganz unterstützen, kleben sich unsere Mitglieder nicht auf die Straße. Das verurteilen wir nicht, aber es ist nicht unser Wesen. Man muss sagen, dass die Leute, die sich da draußen auf die Straße kleben, mit ihrer Bewertung zunächst einmal recht haben. Der LBV besteht aus denjenigen, die eher ruhiger im Hintergrund arbeiten. Wir sind zwar auch immer wieder auf Demonstrationen, das ist aber nicht unser Markenkern. Der LBV besteht eher aus Hunderten von Gruppen, die draußen vor Ort sind und die sich um die Lebensräume von Weißstorch und Fledermäusen kümmern.
Der Vorsitzende: Norbert Schäfer
Der 58-jährige studierte Biologie mit Schwerpunkt Tierökologie, arbeitete dann bei der britischen Royal Society for the Protection of Birds, Europas größtem Naturschutzverband, deren Abteilung für intern. Politik und Artenregeneration er von 2011-2014 leitete. Seitdem ist er Vorsitzender des Landesbund für Vogelschutz in Bayern.