© Pandora Film - Frederic Batier
Liv Lisa Fries in "In Liebe Eure Hilde"
Frau Fries, kannten Sie die Geschichte von Hilde Coppi und der Rote Kapelle?
Nein, eigentlich gar nicht. Ich kannte ein paar ältere Leute, die darüber Bescheid wussten, die Nachbarn meiner Großeltern zum Beispiel. Aber ich selbst musste mich in das Thema einarbeiten. Natürlich kannte ich Sophie Scholl, die bekanntere Widerstandskämpferin, die ich in „Frauen, die Geschichte machten“ auch schon mal gespielt habe. Im Unterbewusstsein habe ich vielleicht eine Hilde-Coppi- oder Hans-Coppi-Straße in Berlin wahrgenommen. Ich kannte aber keine Details.
Hatten Sie die Möglichkeit, die Nachkommen Helle und Hans Coppi Junior zu treffen?
Ja, das war eines der ersten Dinge, die ich in der Vorbereitung gemacht habe. Es war für mich sehr berührend und in vielerlei Hinsicht auch wesentlich. Natürlich ist es ein bisschen abstrus, weil ich als Hilde-Darstellerin quasi meinen erwachsenen Sohn getroffen und mich wie in einem Science-Fiction-Film gefühlt habe. Es war eine berührende Begegnung. Hans Coppi Junior beschäftigt sich sehr intensiv mit der Geschichte seiner Eltern und führt ihr Erbe fort. Gleichzeitig gibt es natürlich diese persönliche Ebene. Es verlangt einen hohen Grad an Differenzierung und es ist auch eine Form der Verarbeitung, damit umzugehen und ihnen politisch Respekt zu zollen.
Hans Coppi Junior ist als Waisenkind aufgewachsen. Hat er darüber gesprochen?
Ja. Er ist ohne Eltern aufgewachsen und hat eine große Traurigkeit und auch einen Groll ihnen gegenüber ausgedrückt. Rückwirkend ist das für mich etwas, womit ich arbeiten kann. Ich weiß, dass mein Kind alleine durchs Leben gehen muss. Für mich als Spielerin ist das wichtig zu wissen: Wo geht das hin? Was kann ich damit anfangen und was nicht? Es ist keine Fiktion, das ist das Besondere an diesem Projekt. Natürlich gab es beim Dreh krasse Situationen, in denen ich das Schicksal meines Kindes realisiere. Zum Beispiel diese Szene, in der ich das abgelehnte Gnadengesuch von Hitler in der Hand halte, in dem die Hinrichtung angekündigt wird. Wir reden hier nicht von etwas Ausgedachtem, es ist leider Realität. Das hat nochmal eine andere Wucht.
Was für Alleinstellungsmerkmale hat Regisseur Andreas Dresen?
Eine große Akribie, Ausdauer und ein Auge für das große Zusammenspiel. Wir haben immer sehr eng mit unserer Kamerafrau Judith Kaufmann zusammengearbeitet und versucht, dass - sowohl vom Bild als auch vom Spiel her - alles kompositorisch zusammenspielt und wir optisch und inhaltlich etwas transportieren. Da ist Andreas wirklich extrem genau. Mit Drehbuchautorin Laila Stieler hat er schon oft zusammengearbeitet. Er wollte einen weiblichen Blick auf diese Geschichte haben. Als Spielerin habe ich mich extrem geschätzt gefühlt. Gleichzeitig haben wir zum Teil sehr viele Takes gemacht. Nicht von den sehr emotionalen Szenen, die haben wir nicht so häufig gedreht. Das geht auch einfach nicht, weil sie sehr existenziell sind. Aber ansonsten gab es viele Takes, was bei diesem Projekt Ausdauer und Kraft gekostet hat.
Glauben Sie, dass sich Hilde der Konsequenzen ihres Tuns immer bewusst war? Oder spielten auch die Liebe und eine gewisse Abenteuerlust mit?
Ich möchte nicht sagen, dass sie rein intuitiv war. Sie war auch sehr still und dachte viel nach. Sie handelte nicht unüberlegt, aber auch nicht berechnend. Ich glaube, dass sie ein großes Herz und diese Liebe zu Hans Coppi hatte, aber auch einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Hilde hat zum Beispiel Briefe an die Angehörigen deutscher Soldaten geschrieben, die sie über den illegal abgehörten sowjetischen Rundfunk erreicht haben. Sie hat im Moment gehandelt und besaß wirklich Rückgrat. Später hat sie der Wärterin im Gefängnis ihren Sohn überlassen, die ihn an ihre Mutter weitergeben sollte, und somit sichergestellt, dass das Kind von ihr großgezogen wurde. Für mich persönlich ist diese Situation schwer zu begreifen. Und ich sage nicht, dass ich es genauso machen würde.
Inwiefern?
Es geht auch um eine Form von Loyalität und um einen Glauben an Gerechtigkeit. In einer Szene steht Hilde vor Gericht und die Richter fragen sie: „Warum haben sie das gemacht?“ – nach dem Motto: „Wenn sie wöllten, könnten sie sich noch rausreden.“ Sie sagt ganz ehrlich und ruhig: „Weil ich meinen Mann liebe.“ Das ist einfach ihre Antwort. Hilde wird niemandem in den Rücken fallen. Vor allen Dingen nicht einer Person, die sie so sehr liebt, oder einer Sache, an die sie glaubt. Sie selbst sagt in einer Szene zu ihrem Mann: „Traust du mir keinen eigenen Willen zu?“ Das ist sehr interessant und auch im gesamten Zusammenhang wichtig. Hilde haut nicht auf den Tisch und sagt: „So, das ist meine Meinung und so sehe ich das!“ Sie ist eine stille Person, die dennoch ihre Werte vertritt.
Im Film sind nicht alle Staatsdiener schlechte Menschen. Ein Polizist schützt die Widerständler und die Aufseherin im Gefängnis macht eine Entwicklung durch. Waren Ihnen diese Facetten des Drehbuchs wichtig?
Ja. Komplexität finde ich immer wichtig. Das fängt bei meiner Figur an, aber ich schätze es, wenn auch die anderen Figuren Entwicklungen durchmachen und man ihre Motivationen, Ambivalenz und Ambiguität spürt. Dass es eben nicht wie in einer Komödie einfach nur die beste Freundin ist, die eine quirlige Eigenschaft hat und das war's. Das ist nicht so, wie ich Menschen erlebe. Natürlich gibt es bestimmte Ausprägungen von Menschen, zum Beispiel ist jemand eher intro- oder extrovertiert. Und jede Ausgangssituation ist anders. Gerade in einer Zeit, die sehr ambivalent, fordernd und existenziell war, finde ich das total wichtig. Man muss die Ängste der Menschen spüren und jemanden nicht nur als die böse Wächterin abstempeln. Diese Aspekte werden ganz leise nebenbei erzählt. Das macht Andreas toll. Jede Figur wird sehr ernst genommen – und das merkt man. Bei „Babylon Berlin“ wird auch immer wieder versucht, die Nebenrollen mit Leuten zu besetzen, die wirklich spielen können. So bekommt man nicht das Gefühl, dass manches wichtig ist und es daneben ein bisschen ausfranst. Man bleibt sehr akribisch. Das ist toll und im Ergebnis auch spürbar.
Wie kompensiert man harte Szenen wie die Geburt oder die Exekution emotional?
Andreas und Produktionsleiter Peter Hartwig haben im Nachhinein gesagt, dass wir womöglich einen Fehler gemacht haben. Genauso, wie es im Film mit dem Hin- und Herspringen zwischen dem Kennenlernen und dem Gefängnis funktioniert, hätten wir auch drehen sollen. Wir haben zuerst das gesamte Kennenlernen und die leichteren Szenen gemacht und danach die Gefängnisszenen. Irgendwann war es sehr zermürbend, die ganze Zeit im nasskalten Gefängnis zu drehen. Es war wirklich unglaublich anstrengend, diese sehr fordernden Szenen zu spielen. Ich habe versucht, das irgendwie abzuschütteln. Gleichzeitig sieht man dadurch aber auch, dass es wirklich so war.
Hat Ihnen das eine gewisse Ehrfurcht abverlangt?
Absolut. Ich wollte nicht herumklamauken, sondern der Situation Respekt zollen. Dennoch habe ich versucht, das Ganze in irgendeiner Form wieder abzulegen. Aufgrund dessen, dass wir das jeden Tag gedreht haben, war das sehr schwer. Es hat die Stimmung sehr gedrückt. Ich habe noch nie erlebt, dass an einem Set so viele Leute aus dem Team geweint haben. Ich kenne einige von ihnen schon länger. Viele sind zum Beispiel im Team von Tom Tykwer und sehr professionelle Filmschaffende. Ich habe sie weinen sehen. Das Projekt ging also allen an die Nieren. Das lag daran, dass es zum einen real ist und zum anderen daran, wie Andreas Dresen filmt, aber auch an meinem Anspruch an Rollen und dass ich mir eine hohe Authentizität abverlange.
Sie haben mit Anthony Hopkins „Freud - Jenseits des Glaubens“ (dt. Kinostart: 19. Dezember) gedreht. Ein schwieriger Interviewpartner. Ist er auch als Kollege eine Herausforderung?
Nein, gar nicht. Als Kollegin war ich sehr dankbar für diese Erfahrung. Ich habe mich unheimlich wertgeschätzt gefühlt. Sir Anthony hat mich immer gefragt, ob ich mit Szenen einverstanden bin und was ich darüber denke. Und er hat mir seine Ideen mitgeteilt. Ich musste oft an den Beginn meiner Karriere zurückdenken, als ich mit Götz George gedreht habe. Das war ein ganz ähnliches Gefühl. Eine große Sicherheit durch jemandem, der diesen Beruf seit vielen Jahren ausübt und einen durch dieses Projekt navigiert. Bei der ersten Probe konnte ich gar nicht fassen, dass ich wirklich mit Anthony Hopkins spiele. Das habe ich nie erwartet. Aber es war toll!
Wenn Sie Hilde Coppi eine Frage stellen könnten, welche wäre das?
Das ist eine schwere Frage. Instinktiv kam mir eben die Frage in den Sinn, ob sie glücklich war. In der Situation, in der sie sich befand, ist das aber sehr kompliziert. Vielleicht hätte ich gar keine Frage. Ich glaube, ich würde sie gern in den Arm nehmen. Das ist meine Antwort.
© Engelhardt
Kulturzentrum Moritzhof
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