© Peter Rigaud co Shotview Artists
Sandra Maischberger
Sandra Maischberger ist nicht nur eine kritische Fernsehjournalistin, sie produziert auch regelmäßig Dokumentationen („Kennedys Liebe zu Europa“) und Spielfilme („Nur eine Frau“). In der neuen Kinodoku „Riefenstahl“ (Start: 31. Oktober), die in Zusammenarbeit mit Autor und Regisseur Andres Veiel entstand, seziert die 58-jährige mit Hilfe bislang unbekannter Dokumente und Aufnahmen das Verhältnis der umstrittenen Filmemacherin Leni Riefenstahl zur Ideologie des Dritten Reiches. Ein Gespräch.
Frau Maischberger, wie ist es Ihnen gelungen, gemeinsam mit Andres Veiel als Erste Zugang zum Nachlass von Leni Riefenstahl zu erlangen?
Am Anfang stand ein Zufall. Ich habe als eine der Ersten erfahren, dass das Haus von Leni Riefenstahl in Pöcking leer stand. Die darin gesammelten Werke, Filme, Fotos aber auch Korrespondenzen und Dokumente, sollten nach Berlin zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz gebracht werden. Ich habe mich schnell an die Fersen dieses Nachlasses geheftet und den Kontakt zur Stiftung gesucht. Da so eine große Stiftung viele andere Aufgaben hat und Riefenstahl nicht die oberste Priorität darstellt, habe ich den Vorschlag gemacht, dass wir diese Arbeit unterstützen und die Kisten öffnen, um zu sehen, was sich darin befindet. Dafür wollten wir als die Ersten die Möglichkeit bekommen, daraus einen Film zu machen.
Wurde jede einzelne der 700 Kisten gesichtet?
Alle 700 Kisten wurden ausgepackt. Es waren natürlich auch andere Dinge darin, zum Beispiel ein knallblauer Taucheranzug oder diverse Sammelstücke aus Afrika. Das war alles Teil dieses Nachlasses. Aber was die Filme, Dokumente und Fotos angeht, ist das schon eine unglaubliche Menge, allein 50.000 Fotos und viele hundert Meter Film. Andres, unser Team und die Forscher der Stiftung Preußischer Kulturbesitz haben auch noch vieles in anderen Archiven gefunden, zum Beispiel Briefe, die für uns relevant waren, als wir mit dem Schnitt bereits weit fortgeschritten waren. Ich glaube, dass da noch das eine oder andere Dokument sein könnte, welches uns noch nicht untergekommen ist. In den wesentlichen Bereichen waren sie aber ziemlich vollständig.
Haben Sie Herrn Veiel weitgehend freie Hand gelassen oder sind Sie eine Produzentin, die sehr großen Einfluss nimmt?
Andres Veiel ist ein Künstler. Er hat sein Team mitgebracht, mit dem er zuletzt den Film über Joseph Beuys gemacht hat. Wir haben uns erst darüber unterhalten, ob wir ein gleiches Verständnis davon haben, wie dieser Film werden soll. Sonst hätte eine Zusammenarbeit überhaupt keinen Sinn ergeben. Wir haben herausgefunden, dass uns beide zwei Fragen umtrieben: Wer war Leni Riefenstahl? Und was bedeutet sie für uns heute? Dabei sind wir auch geblieben. Und dann hat Andres Veiel im Schneideraum das getan, was er so meisterhaft wie wenige andere beherrscht: Er hat mit seinem Team aus totem Material - zum Beispiel schriftlichen Dokumenten - einen lebendigen Film gemacht. Ich bin oft da gewesen und wir haben uns abgestimmt und diskutiert. Aber natürlich ist es sein Werk. Er war und sein Team haben den Film gemacht, ich war ganz klar in der Produzentinnen-Rolle, was noch anderes umfasste.
Sie haben 2002 das letzte große Interview mit Frau Riefenstahl geführt. Sind Sie mit der Hoffnung hingefahren, ihr eine Art Beichte abzunehmen?
(lacht) Nein. Ich hatte aber die leise Hoffnung, dass eine Frau, die so alt geworden ist und nichts mehr zu verlieren hat, sich an der einen oder anderen Stelle zu einer Verantwortung bekennen kann. Nicht zu der Verantwortung für den Holocaust, das wäre albern. Aber zu der Verantwortung, eine Ideologie wissentlich verbreitet und unterstützt zu haben, die zu diesen grauenhaften Taten geführt hat. In sich selbst hineinzuhorchen und zu fragen, ob das alles richtig war. Aber das wollte sie einfach nicht. Vielleicht war sie dazu auch nicht in der Lage. Wenn ich darauf gehofft haben sollte, war das klar eine Enttäuschung.
Warum hat sich Riefenstahl immer wieder Interviewsituationen ausgesetzt?
Es gab auch Interviews, die nur affirmativ waren und sie gefeiert haben. Deshalb war ihr nicht immer klar, was kommen könnte. Wenn sie jemandem wie mir gegenübersaß, musste sie wissen, worauf sie sich einlässt, das stimmt. Ich glaube, es ist eine Mischung. Sie hatte ein Interview mit dem berühmten Kollegen André Müller, der das in seiner bewährt großartigen Qualität geführt hat. Wir haben die Tonaufnahmen dieses Interviews gefunden. Sie keift ihn immer mal an und sagt, sie wolle nicht über Hitler reden. Das sei doch alles zum Kotzen. Gleichzeitig fängt sie in diesem Gespräch immer wieder selbst damit an. Es gab in ihrem Leben eine Art von Hassliebe zu diesem Thema. Einerseits wusste sie, dass man sie auf Hitler reduzieren würde. Andererseits war das auch ihr Alleinstellungsmerkmal. Natürlich hat man die Bilder der Nuba, die sie gemacht hat, anders gesehen, weil sie von ihr stammen. Allein vor dem Hintergrund der Geschichte von „Triumph des Willens“ und „Olympia“. Sie hat das realisiert und mit sich selbst kokettiert, dass da eine Verbindung ist, die sie in Ihrem Leben nicht mehr lösen wollte.
Riefenstahl genoss bei ihren Talkshowauftritten großen Rückhalt in der Bevölkerung.
Tatsächlich war das für mich einer der schwierigsten Momente. Ich weiß noch, dass ich an diesem Tag leicht benommen aus dem Schneideraum gegangen bin. Die Kollegen haben erst einmal viel von dem hintereinander geschnitten, was sie an Stimmen auf diesen Tonbändern gefunden hatten. Das war mehr als eine halbe Stunde, nur ein Ausschnitt, aber dennoch grauenhaft. Angefangen beim SS-Mann, der sagte, sie wären doch alle Idealisten gewesen, über den Panzerbauer, der immer noch stolz über seine „Kinder“ redete. Es haben aber auch junge Menschen angerufen und gesagt, sie wollen zur Kenntnis geben, dass ihre Generation hinter ihr stehe. Zu einem Arbeiter sagte sie, er solle seine Komplimente für sie auch gleich als Leserbrief an die Zeitungen schreiben. In Teilen war das hasserfüllt - das, was wir heute „Hate Speech“ nennen: „ich verachte diesen Scheißstaat“, oder „lassen Sie sich von diesen Schweinen nicht unterkriegen.“ Das klang damals schon so wie heute Facebook oder X. In dieser Hinsicht war es ein Blick in unsere Gegenwart.
Wie soll man mit dem Werk von Persönlichkeiten wie Riefenstahl oder Luther, Marx und Richard Wagner umgehen, die klar antisemitisch waren?
Das ist die Frage danach, ob man den Künstler von seinem Werk trennen kann. Ist ein Werk an sich gut, weil es ästhetische Größe besitzt? Bei Riefenstahl funktioniert das nicht, weil dieses Werk nicht unabhängig von einer „privaten“ politischen Meinung entstanden ist. Es ist aus einem politischen Motiv heraus entstanden. Sowohl die Reichsparteitagsfilme als auch „Olympia“ waren ein klarer Auftrag der NSDAP. Deswegen glaube ich nicht, dass man diese Werke als ästhetische Vorbilder feiern kann, wie es Quentin Tarantino zeitweise getan hat. Das funktioniert nicht, man kann dem Kontext nicht ausweichen. Man muss sich mit ihr auseinandersetzen. Für uns ist die Ästhetik Riefenstahls sehr modern und gegenwärtig. Wir stellten uns die Frage: Wenn die Ästhetik wieder da ist, ist dann die Ideologie vielleicht auch wieder da? Entlang dieser Suchbewegung haben wir diesen Film gemacht.
Zollen Sie Riefenstahl für ihr Talent Respekt?
Ich hätte es gerne getan. Die ursprüngliche Neugierde, die ich ihr gegenüber hatte, war die Neugierde einer Frau gegenüber einer anderen, die sich in den Zwanzigerjahren emanzipiert Räume erkämpft hat. Sie hat sich nicht damit zufriedengegeben, vor der Kamera zu stehen. Sie wollte auch Regie führen und hat sich in einer Männerwelt durchgesetzt. Sie hat sich Skifahren beigebracht und war in den Bergen wirklich gut. Das hat mir eine gewisse Art von Respekt abgenötigt. Ich habe mich gefragt, warum sie dann diesen schrecklichen Menschen wie Hitler und Goebbels folgen konnte. Aber die Antwort ist ganz einfach: Riefenstahl ist ihnen gefolgt, weil sie schon die Anlagen zur Nationalsozialistin aus ihrer Erziehung und ihren Erfahrungen in den Zwanzigerjahren in sich trug. Bei ihr fiel diese Ideologie auf fruchtbaren Boden. In diesem Sinne war sie ein Kind ihrer Zeit. Sie war eine überzeugte Nationalsozialistin.
In den letzten Jahren hat sich einiges geändert, aber sind nicht unsere Werbung und diverse Social-Media-Kanäle auch eine Feier des Schönen, Gesunden und Starken?
Das ist auch eine Sache, die mich leicht nervös macht. Dieses Streben nach einem Schönheitsideal mit gehörigem Druck heißt auch immer, dass man die anderen, die nicht so schön sind, verachtet. Und wie schnell wird aus Verachtung Hass, Ablehnung und Verfolgung? Es gibt ein paar Muster, die ich sehr gegenwärtig finde. Wenn man sich immer nur selbst bespiegelt, wie die Instagram-Generation es tut, verliert man den Blick für das, was drumherum passiert. Und damit möglicherweise auch ein Teil seiner Empathie für andere Menschen.
Bis heute greifen Kinofilme und Musikvideos die riefenstahl´sche Ästhetik auf.
Wissen Sie, dass sich George Lucas, als er mit Star Wars begonnen hat, explizit auf Riefenstahl bezogen hat? Das hat ihn inspiriert, die Anordnung dieser seelenlosen Massen von Soldaten im Karree. Wie sich alle im Gleichschritt, im Takt in Marsch setzen. Als der Film „Dune 2“ anlief, haben wir Anrufe bekommen, ob uns aufgefallen sei, dass das wie „Triumph des Willens“ aussähe. Vieles ist gegenwärtig, zum Beispiel in der Militärparade von Putin im Mai 2022 in Moskau auf dem Roten Platz. Ich war bei der Eröffnung der Olympischen Spiele 2008 in Peking. Das war eine fantastische Show. Es ist aber exakt diese Ästhetik, in der das Individuum verschwindet, ein Teil der Masse wird und nur als solches bestehen darf. Das ist eines der Muster des Faschismus.
Was für Erfahrungen haben Sie mit Ihrem Film auf den Filmfestspielen von Venedig gesammelt?
Das war interessant. Wir wussten überhaupt nicht, wie das werden würde, weil es kein einfacher Film ist. Erst recht nicht in einer anderen Sprache. Es braucht doch sehr viel Text, um verstanden zu werden. Wir waren vor dieser Premiere wirklich nervös. Vor Ort haben wir aber dann eine unglaubliche Welle an Zustimmung durch die internationale Presse erfahren. Wir haben zwei, drei Tage lang von morgens bis abends mit Kollegen aus der ganzen Welt gesprochen, die alle in diesem Film etwas ganz Anderes oder Eigenes gesehen haben. Die Amerikaner fühlten sich an Trump erinnert. In Ungarn haben sie „Riefenstahl“ bereits im September auf einem Festival gezeigt, weil sie sagen, dass das etwas mit Orban zu tun habe. Das war wirklich interessant. Irgendwann haben wir der Agentur, die die Kritiken sammelte, gesagt, sie könne gerne auch die schlechten Kritiken schicken. Wir könnten das aushalten und sind sowieso nichts anderes gewohnt. Die Antwort: Sie würden ja gerne, aber es gäbe keine. Von 50 Artikeln gibt es vielleicht ein oder zwei, die etwas zu kritisieren haben. Es war schon fast zu gut, um wahr zu sein.
Ist das Thema für die Produktion eine sichere Bank, weil Nazis immer gehen?
Das sagen Sie! (lacht) Ich habe 2017 mit der Arbeit an diesem Film angefangen. Insofern war das auch für mich als Produzentin kein Thema, das schnell gemacht und wenig gekostet hätte. Ich habe sehr viel Zeit und finanzielle Mittel investiert. In der ersten Runde der Förderungen sind wir mit unserem Riefenstahl-Ansatz durchgefallen, weil die vorherrschende Meinung war, dass man schon alles über sie wisse. Wieso sollte man also Geld dafür ausgeben? Wir haben nachgearbeitet und herausgestellt, wie unser Film durch den Zugriff auf den Nachlass eben doch Neues bieten konnte. Zum Beispiel über das Massaker an Juden in Końskie und die Frage, ob Riefenstahl dieses nur gesehen oder vielleicht mit ausgelöst hatte. Das ist ein neuer Blick auf das Thema. Aber wir haben erstmal darum kämpfen müssen, weil dieser Figur auch Ablehnung entgegenschlug. Das war überhaupt keine „gmahde Wiesn“, wie wir in Bayern sagen, sondern eine echte Anstrengung.
Ihre Produktionsfirma heißt Vincent und Sie fördern auch einen gemeinnützigen Verein namens „Vincentino e.V.“. Warum dieser Name?
Mein Mann ist in den frühen 80er Jahren aus Tschechien nach Deutschland gekommen. Er ist Kameramann und hat sich in Tschechien intensiv mit Malerei beschäftigt. Er hat seine erste Firma „Vincent“ genannt, weil Anfang der 90er Jahre, als die Firma gegründet wurde, das Privatfernsehen gerade aufkam. Seitdem wurde der Wert eines Kunstwerkes - oder eben eines Films - nur noch am Marktanteil, also an der Quote, gemessen. Mein Mann wollte daran erinnern, dass Vincent Van Gogh Zeit seines Lebens kein einziges Bild verkauft hatte. Heute gehören seine Bilder zu den wertvollsten der Welt. Der Wert eines Kunstwerkes bemisst sich also nicht nur am Marktwert seiner Zeit, sondern auch an anderen Kriterien. Das war der Gedanke. Ich finde ihn auch heute noch absolut einleuchtend. Das bedeutet nicht, dass unsere Firma kein Geld verdient. Aber wir stellen Dokumentarfilm her. Das ist kein Bereich, den man sich aussucht, weil man an erster Stelle an Geld interessiert ist. (lacht)
Die Fragen stellten Lucas und André Wesche.
Hier geht es zu den Spielterminen von "Riefenstahl" im Moritzhof
© Engelhardt
Kulturzentrum Moritzhof
Moritzplatz 1, 39124 Magdeburg
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