© Philipp Gladsome
Kraftklub sind nicht stolz auf erreichte Goldalben, sondern auf ihr eigenes, etabliertes Festiva
Kraftklub sind auch mit drittem Album ganz oben dabei
Zwischen Euphorie und Aufruhr, Liebe und Depression, präziser Beobachtungsgabe und fein justiertem Humor erwischt die Band aus Chemnitz die alte Tante Zeitgeist genau zwischen den Augen. Das Album lebt von einer enormen stilistischen und inhaltlichen Offenheit, von Musikbegeisterung und einer Lust am Umgang mit Sprache. Bereits mit ihrem D ebütalbum „Mit K“ mischten die Jungs die komplette Republik auf. Seitdem haben Kraftklub ausverkaufte Tourneen und umjubelte Headliner-Shows auf Festivals gespielt. Ihre Musik wurde mehrfach mit Gold und Platin ausgezeichnet, die Band etablierte ein Festival und veröffentlichte ihr erfolgreiches zweites Album „In Schwarz“. Kraftklub berichten aus dem Leben ihrer Generation, weil es auch ihr eigenes Leben ist. Das geht nur unverkrampft, sonst wirkte es belehrend. Und nichts passt weniger zu dieser Band als Klugscheißerei. Auf „Keine Nacht für Niemand“ integrieren sie Einflüsse aus Soul, Funk, Hard-Rock, New Wave und elektronischer Musik. Auffällig ist auch, dass sie sich nur beim Albumtitel vor einigen ihrer wichtigsten Einflüsse verneigen. Das bearbeitete Interview mit Sänger Felix Brummer wurde uns vom Label zur Verfügung gestellt.
Ihr musstet euch nach zwei Alben ein bisschen entscheiden, in welche Richtung ihr gehen wollt: Einfach so weiter machen oder was ändern. Wir standen vor dem dritten Album und haben festgestellt, dass wir sowohl musikalisch als auch textlich fertig erzählt hatten. Wir hatten erzählt, wo wir herkommen, wer wir sind. Dann haben wir auf der zweiten Platte noch reflektiert, wie es ist, tatsächlich berühmt geworden zu sein. Und musikalisch war das auch einfach immer schneller, immer lauter. Für dieses dritte Album waren wir dann wieder völlig frei. Haben alles ausprobiert. Die Platte ist viel entspannter musikalisch als die anderen Platten. Textlich ist sie viel freier, weiter weg von den tatsächlichen autobiografischen Geschichten, fiktionaler.
Ihr zitiert auf dem Album unter anderem Element Of Crime, Die Ärzte, DÖF. Vielleicht wird man irgendwann sagen, dass diese Platte unser musikalisches Outcoming war. Ich finde die Vorstellung ganz reizvoll, dass wenn man sie sich sehr intensiv und sehr genau anhört, irgendwann ein komplettes Bild davon hat, wo wir alle fünf musikalisch herkommen. Wer uns inspiriert und geprägt hat.
Die Nacht ist das Thema auf dem Album. Was ist eine gute Nacht? Eine gute Nacht geht prinzipiell bis 17 Uhr. Meine Oma sagt immer: "Nichts Gutes passiert nach 17 Uhr." Nach 17 Uhr muss man vom Rave abhauen. Während der Produktionsphase waren wir in Berlin im Studio. Wir waren tagsüber immer im Studio und sind dann abends ins Nachtleben entfleucht und haben uns Konzerte angeguckt, waren in Clubs oder einfach draußen am Späti.
Wer kam auf das Wortspiel im Titel „Keine Nacht für Niemand“? Das Wortspiel zeigt unsere Liebe und Respekt vor Rio Reiser. Man macht einfach nur aus dem M von "Macht" ein N für "Nacht", und dreht die komplette Bedeutung. Auf einmal wird es zu einem Motto für Raver. Das fanden wir sehr faszinierend und irgendwie lustig. Rio Reiser ist eine Figur, die uns extrem geprägt hat, weil der es geschafft hat, ernst zu nehmende politische Musik zu machen, und auf der anderen Seite unpeinliche, große Liebessongs zu schreiben.
Wir haben bestimmt alle schon einmal schlimme Gedanken gehabt, wenn es um andere Personen geht. Entstand so auch „Dein Lied“? Wir haben die Diskussionen dazu verfolgt. Die Leute wollen es immer gerne einfach haben, dass die bösen Texte von den Rappern kommen und die lieben Texte von der Indie-Band. Sie sind dann irritiert, wenn auf einmal die liebe Indie-Band ein No-Go wie „Hure“ verwendet. Sie kommen nicht darauf, dass es sich dann um Kunst handeln könnte und eine fiktive Geschichte um die gebrochene Figur eines verlassenen Typs. Man muss heutzutage immer das Ende einer Beziehung souverän überstehen, aber manchmal bricht dann eben doch ein ganzes Leben zusammen. Es klingt super pubertär, aber nachvollziehbar. Es wird uns zum Vorwurf gemacht, dass es Leute nicht verstehen könnten und den Song als Legitimation sehen, Frauen als Huren zu bezeichnen. Uns hören sicher auch viele Idioten, aber das bedeutet in keinem Fall, dass man nur noch Musik machen darf, die jeder versteht!
Welche andere Figuren sind auf dem Album? Es ist die Figur des Drogensüchtigen. Es ist die Figur des Lohnsklaven, der mit seinem Chef so eine Art homoerotische Beziehungen pflegt. Es ist die Figur des Fans. Es macht mehr Spaß in eine verzweifelte, kaputte Perspektive einzutreten als in eine, wo einfach alles heile Welt ist.
Bei der Figur des Drogensüchtigen meinst du „Chemie Chemia Ya“. Es handelt vom Crystal Meth im Erzgebirge. Wir haben ein ambivalentes Verhältnis zu Drogen. Auf der einen Seite sind Drogen und Exzesse irgendwie geil, auf der anderen Seite ist damit unglaublich viel Elend damit verbunden.
„Liebe zu Dritt“ dreht sich um Selbstoptimierung. Es geht zum Beispiel um die Verteuflung des Exzesses. Angefangen hat es mit der Ächtung der Raucher. Wenn du zum Beispiel beim Healthy Living-Trend nicht mitmachst, wirst du aus der Gesellschaft ausgestoßen.
Zum Song „Fenster“ mit dem Chorus „Spring aus dem Fenster für mich“ gab es Diskussionen. Es gab Diskussionen dazu, ob es ein aktiver Aufruf zum Selbstmord ist. Ich gehe davon aus, dass das jedem klar ist, dass wir als Personen in einer politischen Diskussion nicht einfach sagen 'Bring dich um!'.
Ihr kleidet euch jetzt in rot. Das Album ist in rot. Warum so viel rot? Ich finde es ganz geil, dass es so eine Attacke-Farbe, so eine Angriffs-Farbe ist, aber das Album relativ entspannt ist. Das ist ein schöner Gegensatz und, dass die Farbe für so zwei große und gegensätzliche Gefühlen wie Liebe und Wut steht.
Ihr seid nebenbei noch Veranstalter, ladet mittlerweile zum 6. Kosmonaut Festival. Man wird ja immer mal gefragt, worauf seid ihr stolz? Auf den Erfolg, die goldene Schallplatte, den Echo? Das ist alles nicht so wild. Aber aufs Kosmonaut Festival, da bin ich stolz drauf. In unserer Heimatstadt ein eigenständiges Festival zu installieren, das nicht nur ein 'Kraftklub spielen und laden Freunde ein'- Festival ist.
Zur Veranstaltung: Kraftklub, 2. März, Tickets an bekannten VVK-Stellen sowie bei Krasserstoff.com
© Engelhardt