© Jens Koch
Silbermond
Die Band um Sängerin Steffi Kloß ist mit 6. Album am Start
Griffige Slogans mit klaren Botschaften: Die Band Silbermond versteht sich auf emotionale Songs über Persönliches und Gesellschaftliches. Mit ihren von Gitarren getriebenen Hymnen könnten die Bautzener eines Tages in die Fußstapfen der alten Stadionbands treten. Vor der bevorstehenden Warm-Up-Tour sprechen Sängerin und Songschreiberin Stefanie Kloß sowie Schlagzeuger und Songschreiber Andreas Nowak in Berlin offen über ihren ersten Rausch, Demokratieverdruss und den Traum von einer besseren Welt.
Das neue Werk „Schritte“ ist u. a. in Südfrankreich entstanden. Wie war es, in dieser Umgebung neue Songs zu erarbeiten? Kloß: Mit „Leichtes Gepäck“ hat sich die Band ihr Selbstbewusstsein zurückgeholt. Die Platte fühlte sich für uns absolut homogen und gut an. Uns war klar, dass wir diesen Grundsound beibehalten wollen. Nicht so klar war, wie die Erneuerung aussehen sollte. Und dann kamen die Trompete, die Ukelele, die Mandoline dazu. Dafür war das Studio in Frankreich ideal. Es gibt nicht mehr viele Bands, die ihre Songs im Probenraum gemeinsam erarbeiten und wirklich noch zusammen spielen. Die sich gegenseitig auf den Kopf hauen und sich gleichzeitig für ihre Ideen voll abfeiern.
In „Träum ja nur (Hippies)“ plädieren Sie dafür, sich den Traum von einer besseren Welt nicht ausreden zu lassen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Begriffe wie „Homophober“, „Rassist“ oder „Klimakatastrophe“ einmal der Vergangenheit angehören werden? Kloß: Eigentlich dachten wir, über einige Dinge längst hinweg zu sein. Dann kommt doch wieder so ein Trump oder Höcke. Natürlich wird es nie so sein wie im Song, aber er wärmt mich für den Moment. Wenn wir uns nicht trauen zu träumen, können wir gleich alles an den Nagel hängen. Bei so einer großen Utopie ist es sehr wahrscheinlich, dass die Gesellschaft wenigstens ein paar Schritte in diese Richtung geht.
Spielt das politische Geschehen eine Rolle, wenn Sie neue Songs schreiben? Kloß: Ich beschäftige mich nicht jeden Tag mit Nachrichten und Zusammenhängen, weshalb es mir manchmal schwer fällt, mir eine Meinung zu bilden. Mir hat es sehr geholfen, mich mit Menschen darüber zu unterhalten, wie sie Dinge sehen und einordnen. Daran bin ich gewachsen. Ansonsten lassen wir uns beim Schreiben sehr vom Gefühl leiten und schauen dann, ob es beim anderen auch so ankommt.
Im Song „Mein Osten“ werfen Sie einen kritischen Blick auf Ihre Heimatregion. Herrscht im Osten Demokratieverdruss? Nowak: In meiner Familie ist die Demokratie total angekommen, aber ich habe Bekannte, die manchmal komische Kommentare von sich geben. Ich habe mich mit einem Physiker über den weltweiten Rechtspopulismus unterhalten. Er meinte, das habe viel mit dem Internet zu tun. Viele kommen mit der Globalisierung durch das Netz nicht klar. Sie lesen nur Überschriften und bekommen sofort Angst. Ich finde, Facebook hat die Verantwortung, dass die Leute auch andere Meinungen zu lesen bekommen. Kloß: Man muss dabei auch die Geschichte dieses Teils unseres Landes betrachten. Meine Mutter hatte Tränen in den Augen, als ich ihr „Mein Osten“ vorspielte. Sie fühlte sich verstanden. Zu behaupten, die Menschen im Osten wüssten nicht, wie Demokratie funktioniert, ist zu kurz gedacht. Man muss sich einzelne Biografien anhören und nicht alles über einen Kamm scheren. Für die Ostdeutschen hat sich seit der Wende wesentlich mehr verändert als für die Menschen im Westen. Wir sind dankbar für die Wiedervereinigung, aber da ist immer noch eine offene Wunde, die man pflegen muss. Vielleicht wählen manche aus Trotz, Frust oder Überforderung eine Partei, die sie tief im Herzen gar nicht gut finden. Vielleicht wollen sie damit ein Zeichen setzen, damit sich überhaupt etwas bewegt.
Im retrospektiven Titelsong „Schritte“ singen Sie davon, dass in Ihrer Kindheit nicht alles so rosig war, wie Sie dachten. Kloß: Meine Eltern haben sich kurz nach der Wende scheiden lassen. Das war kein rosiger Moment in meiner Kindheit. „Schritte“ beschreibt meine Lebensgeschichte, aber der Song ist auch ein Sinnbild für den „Circle of Life“. Während der Albumproduktion sind Kinder auf die Welt gekommen und wir haben im engsten Kreis auch Menschen verloren. Wir haben uns gefragt, wo wir als Band, deren Mitglieder inzwischen Mitte 30 und beste Freunde sind, stehen.
Wie kam es zu dem Song „Für Amy“, einer Hommage an einen jungen Silbermond-Fan? Kloß: Es gab tatsächlich eine Begegnung mit einem Fan, den Namen haben wir jedoch geändert. Es gibt sehr viele Amys in diesen Zeiten. Genau genommen war ich früher selber eine von denen, die dachten, sie seien nur mittelmäßig. Wir sind kürzlich mit der Bahn zur Fridays-for-Future-Demo gefahren. Eine Gruppe von Mädels hat mich an meine Jugend erinnert. Eine war die Anführerin, eine war schüchtern und weniger hübsch als die anderen, und eine trug schöne Klamotten und lange Haare. Sie hatte einen Freund. Diese Muster kehren immer wieder. Ich glaube, wenn ich in Zeiten von Instagram aufgewachsen wäre, wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin. Ich hätte dem Wettbewerb wahrscheinlich nicht standhalten können. Der Song ist ein Plädoyer dafür, sich so zu nehmen wie man ist und daraus das Beste zu machen. Als Band rennen wir auch nicht jedem Trend hinterher.
In „Hand aufs Herz“ beklagen Sie sich, dass Ihr Vater Ihnen nie gesagt hat, wie stolz er auf Sie ist. Kloß: Mein Vater ist gestorben, als ich 18 war. Er hat immer nur anderen erzählt, dass er stolz auf mich ist. Er hat es mir nie ins Gesicht gesagt. Jetzt, wo ich selber für ein Kind verantwortlich bin, frage ich mich, wie ich eigentlich geprägt worden bin. Was hat mir in meiner Kindheit gefehlt, was ich jetzt besser machen will? Ein Kind zu kriegen war für mich das Krasseste, was mir bisher passiert ist.
Wie hat sich Ihr Leben verändert, seit Sie Mutter sind? Kloß: Weniger Schlaf! Ich kann zum Glück überall schlafen. Alles andere hat sich im normalen Maß verändert. Ich habe mit Mitte 30 noch tausendmal mehr Rock 'n' Roll in mir als viele andere in meinem Alter. Weil wir machen dürfen, was wir wollen. Der Rest ist eine Herausforderung wie bei allen Frauen, die Kind und Beruf verbinden müssen.
Steht er auf Musik? Kloß: In meiner Playlist läuft oft „Bi-Ba-Butzemann“. Wenn er zu unserer Musik tanzt, werten wir das als gutes Zeichen. Er mag auch Soundbücher mit klassischer Musik. Vielleicht wird er klassischer Musiker.
Nehmen Sie Ihren Kleinen mit auf Tour? Kloß: Manchmal. Er hat ein Spielzimmer im Bandbus, aber weil der kleine Wurm neugierig ist, bleibt er nicht an einem Platz. Nowi ist sein Erlebnisonkel.
© Andreas Lander
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